Paralipomena aus der Skulpturensammlung des Allerh. Kaiserhauses.
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ges Flügelbüblein voll männlich-täppischen Ungestüms, gestolpert und hat sie getrennt. Sein Gang ist
wohl noch etwas wackelig, er patscht mit den Füßen noch reichlich unsicher über den Boden hin und
muß eine Stütze suchen. Denn flügge ist er noch lange nicht, dazu sind die kaum erst sprossenden
Flügelstummel zu kurz. Er freut sich recht seiner Tat, denn seine Pausbacken lachen vergnügt, so
daß die Wangengrübchen hervortreten. Ganz froh kann er ihrer aber doch nicht werden; denn die Auf-
nahme, die er bei den beiden Genossinnen findet, ist geteilt. Die, der er sich zunächst zuwendet und
der er den linken Arm über die Schulter legt, kehrt sich von ihm ab; ja sie hat in entschiedener Abwehr-
bewegung in seine Flügelchen gegriffen und sie so unbarmherzig gezaust, daß ihr ein paar Federn
zwischen den Fingern geblieben sind. Anders verhält sich die zweite; ihre Bewegung könnte ebensogut
Angriff wie Anziehung oder beides zugleich bedeuten; sie faßt ihn mit der einen Hand ins Haar, mit
Fig. 8 und 9. Details aus der Puttigruppe.
der anderen, an empfindlichster Stelle, zwischen den Beinchen; die eine Hand oben stößt ab, die andere
zieht ihn zu sich.
Die Bedeutung der Gruppe ist an sich nicht schwer zu erraten: Anziehung und Abstoßung im
Liebesleben, vorausgeahnt und symbolisiert im kindlichen Spiel. Daß sich irgend ein «Hieroglyphikon»
im Geschmack des Humanismus darunter verbergen mag, ist nicht ausgeschlossen; die beiden Weiblein
sind durch Stirnbinde und Rosenkränzchen verschieden charakterisiert; daß die eine, eben die mit den
Rosen im Haar, die Flügelchen in zwei bärtigen Maskarons wie in einem Futteral stecken hat, ist auch
bemerkenswert. Möglicherweise hat das noch tiefere Bedeutung; hinter dem buchstäblichen mag hier,
abgesehen von der allgemeinen mythologisch-symbolischen Einkleidung, noch ein allegorischer Sinn
sich verbergen, als antik-mittelalterliches Erbteil in neuer Form. Ein freilich nur mehr zum kleinsten
Teil lesbarer Zettel klebt vorne auf dem Postamente (Fig. 10). Von einer Hand des XVI. Jahrhunderts
geschrieben, enthält er ein lateinisches Epigramm, antiker Form sich nähernd (oder einem alten Autor
entstammend?):
Tres (....) amantium hic sunt liberi
(— — — — —) signant, nescies.
Nec error est, si Amentem Amantem di(cis).
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ges Flügelbüblein voll männlich-täppischen Ungestüms, gestolpert und hat sie getrennt. Sein Gang ist
wohl noch etwas wackelig, er patscht mit den Füßen noch reichlich unsicher über den Boden hin und
muß eine Stütze suchen. Denn flügge ist er noch lange nicht, dazu sind die kaum erst sprossenden
Flügelstummel zu kurz. Er freut sich recht seiner Tat, denn seine Pausbacken lachen vergnügt, so
daß die Wangengrübchen hervortreten. Ganz froh kann er ihrer aber doch nicht werden; denn die Auf-
nahme, die er bei den beiden Genossinnen findet, ist geteilt. Die, der er sich zunächst zuwendet und
der er den linken Arm über die Schulter legt, kehrt sich von ihm ab; ja sie hat in entschiedener Abwehr-
bewegung in seine Flügelchen gegriffen und sie so unbarmherzig gezaust, daß ihr ein paar Federn
zwischen den Fingern geblieben sind. Anders verhält sich die zweite; ihre Bewegung könnte ebensogut
Angriff wie Anziehung oder beides zugleich bedeuten; sie faßt ihn mit der einen Hand ins Haar, mit
Fig. 8 und 9. Details aus der Puttigruppe.
der anderen, an empfindlichster Stelle, zwischen den Beinchen; die eine Hand oben stößt ab, die andere
zieht ihn zu sich.
Die Bedeutung der Gruppe ist an sich nicht schwer zu erraten: Anziehung und Abstoßung im
Liebesleben, vorausgeahnt und symbolisiert im kindlichen Spiel. Daß sich irgend ein «Hieroglyphikon»
im Geschmack des Humanismus darunter verbergen mag, ist nicht ausgeschlossen; die beiden Weiblein
sind durch Stirnbinde und Rosenkränzchen verschieden charakterisiert; daß die eine, eben die mit den
Rosen im Haar, die Flügelchen in zwei bärtigen Maskarons wie in einem Futteral stecken hat, ist auch
bemerkenswert. Möglicherweise hat das noch tiefere Bedeutung; hinter dem buchstäblichen mag hier,
abgesehen von der allgemeinen mythologisch-symbolischen Einkleidung, noch ein allegorischer Sinn
sich verbergen, als antik-mittelalterliches Erbteil in neuer Form. Ein freilich nur mehr zum kleinsten
Teil lesbarer Zettel klebt vorne auf dem Postamente (Fig. 10). Von einer Hand des XVI. Jahrhunderts
geschrieben, enthält er ein lateinisches Epigramm, antiker Form sich nähernd (oder einem alten Autor
entstammend?):
Tres (....) amantium hic sunt liberi
(— — — — —) signant, nescies.
Nec error est, si Amentem Amantem di(cis).
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