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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 31.1913-1914

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I. Teil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Paralipomena aus der Skulpturensammlung des allerh. Kaiserhauses: Nachlese zu der Abhandlung: Aus der Bildnerwerkstatt der Renaissance
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https://doi.org/10.11588/diglit.6178#0374
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354

Julius von Schlosser.

Die Gruppe ist mit rohen Holzzapfen in ein einfaches Postament eingelassen, dessen geschweifte
Form deutlich zeigt, daß sie zur ßekrönung eines Schrankes oder eines ähnlichen Möbels bestimmt war.
Zusammen mit dem lateinischen Epigramm und dem sonstigen antikischen Gehalt der Gruppe bringt
sie uns wohl die Impression eines Studios aus der Humanistenzeit nahe, in dem sie ihren Platz gehabt
haben mag. Dieser feine Stimmungsduft, der das Werkchen unmerklich umwittert, tragt zu dem eigen-
tümlichen Reiz des Ganzen auch das seine bei. Wer zu historischer Romantik neigt, mag damit die
gleichfalls aus der Hofbibliothek gekommene Tonbüste des jugendlichen Mannes mit seinem Charakter-
kopf, in der Tracht der Lutherzeit, zu einem antiquarischen Stilleben verbinden.

Fig. 10. Gesamtansicht der Puttigruppe.

Der Stil des Werkleins ist eigenartig genug. Die Körperchen der kaum viel mehr als einjährigen
Kinder sind mit sichtlicher Liebe auf die schwammigen Fettbildungen des ersten Alters hin behandelt,
von den Köpfen, deren jeder anders individualisiert ist, geben die mitgeteilten Details ausreichende Vor-
stellung. Merkwürdig ist nicht nur der ausgesprochene Naturalismus in der Körperbehandlung und im
Bewegungsmotiv — in dem freilich noch viel Gebundenes, Unfreies steckt — sondern auch die Art,
wie das dürftige Kostüm der Kinder behandelt ist. Der männliche Putto hat dicke, an vielen Stellen
zerrissene Kniestrümpfe an, die mit Bändern zugeschnürt sind; der linke ist ihm hinabgerutscht. Der
derbe Range geht mit seiner geringen Bekleidung ebensowenig achtsam um wie sonstige Erdenkinder
dieses Alters. Das Mädchen rechts hat bequeme Schühlein an den Füßen, die aber auch schon weidlich
abgenützt sind und aus denen die Zehen hervorgucken. Das Dirnchen links hat, falls ich recht sehe,
eine Art Knieschutz, eine mit einer Erhöhung versehene Scheibe aus derbem filzigen Stoff, um das
rechte Knie; auch sie ist ja noch nicht flügge und rutscht gerne nach Kinderart auf dem Boden.

Haare, Flügel und sonstige Details sind auf das peinlichste und sauberste durchgearbeitet; man
sehe daraufhin besonders die Fußsohle des zuletzt erwähnten Mädchens an, an der die Hautrillen mit
großer Gewissenhaftigkeit angegeben sind. Dieser am kleinen haftende Naturalismus, bei dem uns
immer wieder das Schulbeispiel des alten Denner, des Virtuosen der Epidermis, einfällt, ist echt deutsch
und von der ganz anders gearteten Realistik der Italiener, wie sie unsere früher besprochene Holz-
 
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