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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0090
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Leo Planiscig,

Der Gliederung des Kastens durch drei in Hochrelief ausgeführte Figuren begegneten wir
bereits am Grabmal Soranzo in der Markuskirche (Fig. 3y). Hingegen ist das Paradebett etwas,
was bis dahin in der venezianischen Skulptur nicht vorgekommen war. Ein neuer Typus tritt uns hier
zum ersten Male entgegen, der nicht in Venedig geboren wurde, sondern dessen Ursprung in der Kunst
der römisch-toskanischen Bildhauer der zweiten Dugentohälfte zu suchen ist. Arnolfo
di Cambio scheint der Erfinder gewesen zu sein: dafür zeugt das Grabmal des De Braye in
S. Domenico zu Orvieto aus dem Jahre 1290. Aber mit Arnolfo gleichzeitig, wenn auch nicht
in einem so ausgeprägten und für die Weiterentwicklung so klar formulierten Sinne, tritt das
Paradebett (mit den an den Seiten stehenden oder den Vorhang hebenden Engeln) bei den späten
römischen Marmorari des XIII. Jahrhunderts ziemlich häufig auf. Paradebett und Engel findet

Fig. 49. Relief vom Grabmal des B. Odorico da Pordenone.
Udine, Carmini-Kirche.

man an Werken Giovanni di Cosmas, an seinem Grabmal des Kardinals d'Acquasparta in
Aracoeli (1296) oder an jenem des Bischofs Gunsalvus (1299) in S. M. Maggiore zu Rom. — Die
sienesischen Bildhauer, durch Tino da Camaino, den Nachfolger Giovanni Pisanos als «Capo-
maestro» der Domopera zu Pisa, geleitet, verpflanzten das Motiv des Paradebettes nach Neapel,
wo es an den Grabdenkmälern der Anjous beständig vorzukommen pflegt.

In den Jahren i332—1333 vollendete Tino da Camaino das Grabmal für Karl von
Calabrien, sein Hauptwerk in Sta. Chiara zu Neapel.1 Ein großer Abstand trennt dieses Werk
von der Kunst des Giovanni Pisano. Die Grundelemente sind die alten geblieben. Aber in der
eigenen, unmittelbaren Schule Giovannis, als deren Erben Tino und die Sienesen seines Kreises
betrachtet werden müssen, hatte eine Umwertung der aufgenommenen Formensprache unter Zu-
ziehung neuerer Elemente aus Rom und Florenz stattgefunden und das Resultat war eine neue
Kunst mit einem ausgeprägt neuen Charakter. Die Kunst des Giovanni, au(3erhalb Pisas gebracht,
vereinigte sich mit den autochthonen Errungenschaften anderer Landstriche Italiens und von der
gemeinsamen pisanischen Basis verzweigten sich Weiterbildungen und Umwertungen des ursprüng-
lichen Stiles, die in ihren Endresultaten — bei Tino und den Sienesen und, wie wir noch

1 Vgl. S. Fraschetti, I sarcofaghi dei Reali angioini in Santa Chiara di Napoli, in «FArte» (Rom 1898), p. 38$. —
J. B. Supino, Tino da Camaino: «Archivi storico dell' Arte», Rom 1895; derselbe, Arte Pisana, Florenz 1904, p. 181 ff. —
Bertaux. Santa Maria di Donna Regina e Parte senese a Napoli nel secolo XIV, Neapel 1889.
 
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