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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0096
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Leo Planiscig.

eingemauert; heutzutage ist es kaum sichtbar, da es beinahe ganz von einem modernen Bilde ver-
deckt ist. Das andere Relief, das einst die Vorderseite des Kastens bildete, wurde ebenfalls entfernt
und befindet sich jetzt mit einigen Fragmenten der Postamentsäulen und der Alabastertafeln im
Depot der Carmini-Kirche. Aber auch die Eckfiguren veränderten ihren Platz. Es blieben auf dem
Gerippe des Sarkophags die Madonna und der Erzengel Gabriel, einstige Figuren der Vorderseite.
Neben die Madonna wurde mit Weglassung der gewundenen Säule der hl. Ludwig (einstige
Figur der Rückseite) so gestellt, daß er mit ihr in einem Winkel zu stehen kommt Der
hl. Thomas bekam auf gleiche Weise einen Platz an der Seite des Erzengels; denn anders konnte
man nicht vorgehen, wenn man die Statuen retten wollte. Schließlich wurde die weibliche Martyrin
und der hl. Franziskus an der Seite des Verehrungsreliefs in die Mauer eingelassen.

Aus dieser Anpassung ergab sich aber noch eine weitere Schwierigkeit: es herrschte nämlich
die Sitte, den Sarkophag manchmal zu öffnen und die Mumie des Verstorbenen den Gläubigen
zu zeigen. Jetzt hatte man aber den Deckel des Kastens als Mensa zu gebrauchen. Deshalb wurde
auch die Vorderseite entfernt und durch eine Holzttafel ersetzt, die man wegnehmen und- so den
Beato durch eine Glasscheibe den Gläubigen zeigen kann.

Bevor wir zur stilistischen Untersuchung der besprochenen Fragmente übergehen, ist es not-
wendig, etwas beim Künstler der Area zu verweilen, der als Venezianer für uns von höchster
Bedeutung ist. Wie aus den erwähnten Dokumenten hervorgeht, hatte Philippo de Venetiis im
Jahre i332 die Area vollendet. Im apologetischen Buche des Venni (1761) finden wir aber neben
dem Namen Filippo auch jenen seiner Familie erwähnt. Es heißt hier: . . .frattanto lo scarpellino
Filippo de Santi da Venezia il lavoro terminb dell'arca. Am Anfange des XIX. Jahrhunderts erwähnt
Maniago in seiner Guida von Udine die Area und nennt den Künstler wiederum mit dem vollen
Namen: Filippo de Santi veneziano. Dieselbe Notiz findet sich im zweiten Bande der «Iscrizioni»
des Cicogna. Joppi, der die von Domenichelli und Cordier publizierten Dokumente aufgefunden
hat, setzt zu dem Namen de Santi oder Sanctis ein Fragezeichen. In der Tat weiß Asquini, der
im Jahre 1732 als erster die Area beschreibt, nichts von dem Künstler derselben zu berichten;
bei Besprechung der Area nennt er nur »artefici»; aber sein Buch hat hauptsächlich den Zweck,
das Leben des Beato zu schildern. Der volle Name des Künstlers tritt zuerst bei Venni auf. Wie
hätte aber Venni, der die von Domenichelli und Cordier publizierten Dokumente sicherlich nicht
kannte, auf den Namen Filippo de Sancti aus Venedig kommen sollen? Ein Filippo aus
Venedig als Verfertiger des Sarkophags ist dokumentarisch bezeugt. Der Name de Santi oder de
Sanctis tritt in der kunsthistorischen Literatur erst mit Cicognara auf; er nennt in seiner Geschichte
der Skulptur einen Giovanni de Sanctis, Sohn des Andreolo, der eine Madonna mit dem Kinde
und seine eigene Grabplatte mit der Jahreszahl i3g2 für die Madonna dell'Orto in Venedig aus-
führte.1 Maniago2 hat diese Notiz gekannt und wurde durch sie versucht, Filippo mit Giovanni zu
identifizieren, was schon durch den Zeitunterschied hinfällig wird. Daß aber Venni dem Filippo
den Familiennamen de Santi als den einer ruhmreichen Bildhauerfamilie angehängt hätte, um
damit die Wichtigkeit des Sarkophags und des darin Begrabenen hervorleuchten zu lassen, ist
kaum anzunehmen. Denn de Sanctis war zu Zeiten Vennis kein bekannter Künstlername. Seine
Bedeutung stammt erst aus unseren Tagen, als Biscaro im Trevisaner Archiv ein Dokument vorfand,
das Andreolo de Sanctis als den Meister des Grabes des Jacopo Carrara in Padua nennt.3 Venni
konnte weder davon, noch von der Tätigkeit Andreolos an der Kapelle von S. Feiice im Santo
etwas wissen.4 Aus der Phantasie hat Venni den Namen Filippo de Sanctis aus Venedig nicht
geschöpft. Und eine Bestätigung dafür finden wir in einem von Paoletti publizierten Dokumente,5

1 Cicognara a. a. O. III, p. 350.
3 Maniago a. a. 0., p. 57.

3 G. Biscaro, Le tombe di Ubertino e di Jacopo da Carrara: Archivio storico dell'Arte 1899, P- 88 f. Näheres darüber
im Kapitel XIII.

4 Rossetti in seiner 1780 erschienenen «Descrizione etc. di Padova» nennt Andreolo nicht.

5 Paoletti di Osvaldo a. a. O., p. 54, Anm. 4.
 
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