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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0107
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Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert.

99

l) Verkündigungsengel. Wien, Estensische
Sammlungen (Fig. 63). Von einem Sarkophag. Die
Gewandbehandlung ist von jener der vorher bespro-
chenen Figuren verschieden: der Mantel wird durch
einen Knopf an der linken Schulter festgehalten.1

Diese und andere Beispiele, die wir bei der Be-
sprechung weiterer Werke noch zu erwähnen haben
werden, zeigen, daß — ungeachtet der qualitativen
Unterschiede — ein Schema, auch stilistisch, ziemlich
zähe beibehalten wurde, daß sich Errungenschaften, die
in den zwanziger Jahren des Trecento zum ersten Male
auftreten, noch Ende der vierziger Jahre kaum verän-
dert erhalten. Es handelt sich aber — wie überall
und zu jeder Zeit in der Kunst — um zurückgeblie-
bene Werke, die neben einer großen Entwicklungslinie
fortbestehen oder nur mühsam den Neuerungen nach-
zukommen imstande sind. Als nachträgliche Verallge-
meinerungen anderer, in der Entwicklung ihnen über-
legener Werke sind derartige Produkte in Venedig sehr
häufig zu treffen: tajapiera-Arbeiten, zu Devotions-
zwecken oder zum Andenken und zur Verherrlichung
der Toten bestimmt. Sie geben deshalb dem, der mit
den übrigen, zumeist verborgenen und in der Literatur
nicht erwähnten Werken der venezianischen Trecento-
skulptur nicht vertraut ist, ein falsches Bild dieser Kunst-
betätigung, die der gleichzeitigen, am meisten gewür-
digten lombardischen in keiner Hinsicht nachsteht.

Im Gegensatz zur stilistischen Behandlung der
Verkündigungsszene am Gradenigo-Grabmal ist jene
des Mittelreliefs etwas ganz Neues, vor allem die der
thronenden Madonna mit dem Kinde. Dieses by-
zantinische Motiv wurde in Italien am Ende des Du-
gento mit den Regungen der neuen Kunst mit auf-
genommen und umgewertet. Die Madonnen Duccios
und jene Giottos zeigen schon den eingeschlagenen
Weg. Bei Nicolö Pisano tritt Phaedra von einem
spätantiken Sarkophag oder eine römische Matrone
der Kaiserzeit in den Hüllen der Mutter Christi auf.
Wie Giotto, versucht auch Giovanni Pisano eine
Vermenschlichung im Beieinandersein von Mutter und
Kind herbeizuführen. Die französierende Tendenz Gio-
vannis faßte aber in der Skulptur Italiens nicht all-
gemein festen Fuß. Der Matronentypus, wie ihn,
von der Kunst Nicolös ausgehend, Arnolfo di Cam-
bio am Grabmal De Brave geschaffen hatte, wurde maßgebend. Wir finden ihn auch an unserer
Madonnendarstellung. Sein Auftreten in diesem speziellen Falle ist kein zufälliges. Einige Beispiele

Fig. 63. Yerkündigungsengel.
Wien, Estensische Sammlungen.

1 21 E>- weißer istrianischer Marmor; 63'5 X 19 cm. Spuren von Vergoldung am Nimbus, an der Schriftrolle und
an den Schuhen. Gehört dem Stile nach in die vierziger Jahre.
 
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