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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0124
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Leo Planiscig.

jenen der B. Simeone-Figur ihre Vorgänger haben. Gleiche Hände kommen erst in der Werkstatt
des. Andreolo de Sanctis vor. Da aber die Kunst des Andreolo nicht von selbst entstanden ist,
sondern eine Entwicklungsreihe voraussetzt, deren Hauptmerkmale der toskanische Einfluß und
dessen venezianische Umwertung sind, so kann man diese Vicentiner Skulpturen als die Vorboten
jenes Stils betrachten, der an den Carrara-Gräbern in Padua, um 1350, zur Entfaltung ge-
langte.

In der grotesken Gestalt des knienden Zwerges steckt ein Keim von Naturalismus.
Sie soll den Auftraggeber porträthaft wiedergeben. Der Künstler muß also aus der Natur schöpfen.
Er tut es, wie er es eben kann, indem er äußerliche naturalistische Details zu einem Schema
addiert. Aber auch in dieser Richtung ist diese Zwergfigur ein Vorläufer jener naturalistischen
Werke, die wir einige Jahre später in Padua treffen werden.1

Ohne den toskanischen Einfluß wären diese Skulpturen nicht zu erklären, als Konsequenz des
Francesco Dandolo-Sarkophags oder der Area des B. Enrico hätten sie nie entstehen können.

Fig. 80. Grabmal des Andrea Morosini (1348).
SS. Giovanni e Paolo.

Eine Unterbrechung der einheimischen Entwicklung war notwendig, um Neues und Lebendiges zu
schaffen. Die Aufnahme der toskanischen Gotik war aber keine direkte, die Wiedergabe der er-
lernten Formen keine sklavisch nachahmende. Die Kunst des Giovanni di Balduccio war — eine
Zeitlang wenigstens — für die Lombardei die maßgebende, der Einfluß dieser Künstlerindividualität
ein tiefer. Auf venezianischem Gebiete haben weder Giotto noch Giovanni Pisano die einheimische
Kunst mitreißen können. Ihnen gegenüber hat sie sich behauptet und nur langsam sickerten die
neuen Formen durch, nur langsam wurden sie dem einheimischen Kunstempfinden angepaßt. Aus
der Verbindung dieser Elemente konnte eine Skulptur entstehen, die im gleichen Maße von der
toskanischen wie von der ursprünglichen byzantinisierenden und lombardisierenden verschieden ist.

An einer Reihe von Beispielen wurde diese entscheidende Phase der venezianischen Tre-
centoskulptur verfolgt. Ihr Werden ist zwischen die Jahre 1340 und 1350 zu verlegen. Die Ent-
wicklung der Kunst geht aber nicht mit mathematischer Genauigkeit vor sich. Große Züge einer
Entwicklung können nur dann festgestellt werden, wenn ein größerer Zeitraum der Betrachtung
unterzogen wird. Während der kurzen, nur ein Jahrzehnt umfassenden Zeitspanne, die in
diesem Kapitel zur Besprechung gelangte, gestaltet sich die Sachlage anders: die verschiedenen
Richtungen verbinden, mischen sich oder laufen miteinander parallel; Werke, die zeitlich später
entstanden sind, stehen nicht auf der Höhe von früheren; während in einem Werke irgendeine Ein-
flußsphäre bereits überwunden ist, zeigt sie sich in einem anderen, gleichzeitigen oder sogar jün-
geren noch ganz deutlich.

1 Vergleiche den knienden Zwerg unseres Portaltympanons mit der ebenfalls knienden Donatorenfigur am Devotions-
relief des hl. Johannes Evang. in S. Simeone Grande (Taf. XII). Die Ähnlichkeit ist auffällig.
 
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