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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0132
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Leo Planiscig.

und Tradition so manches zu erzählen wissen. Dieser Naturalismus ist ein Merkmal der allgemeinen
Kunstentwicklung: in so ausgesprochener Vollendung dürfte er aber kaum anderswo in der gleich-
zeitigen Skulptur Italiens auftreten. Er beherrscht auch die Behandlung der Hände, wofür eine
Vorstufe an den Figuren des Portaltympanons von Vicenza (speziell die Hände des hl. Franziskus)
zu suchen ist.

Die Bedeutung der beiden Carrara-Gräber ist damit aber noch nicht erschöpft. Der Stil der
römischen Cosmaten spielte in der Entwicklung der florentinischen Skulptur des Trecento neben
dem pisanischen Einflüsse eine nicht zu unterschätzende Rolle. Arnolfo di Cambio selbst war an
der Ausschmückung der Florentiner Domfassade tätig, seine Schule konnte sich aber gegenüber dem
viel stärkeren Wirken der pisanischen Kunst nicht behaupten. Während der vierziger Jahre trat
Andrea auf, der mit der Verbindung erlernter pisanischer Stilformen und giottesker malerischer
Prinzipien für Florenz eine neue Skulptur schuf. Doch die spätantik-malerischen Tendenzen
der Cosmaten, die in der monumentalen giottesken Einfachheit der Bronzereliefs Andreas über-

Fig. 84. Grabmal des Enrico Scrovegni.
Padua, Arena-Kapelle.

wunden schienen, treten gemeinsam mit den dekorativen, auf Buntfärbigkeit zielenden Bestrebungen
der Gotik in Italien seit ungefähr 1350 wiederum auf. Im Jahre 1359 vollendete Orcagna das
Tabernakel für Or San Michele: eine Verbindung von Malerei und Skulptur, ein Wiederaufflackern
dekorativer, so recht eigentlich von den Cosmaten erfundener Elemente, worin der «klassische» Stil
der Pisani und des Giotto seinen Ausklang findet. Es mag merkwürdig erscheinen, daß sich die
gleiche Entwicklungsphase an zeitlich früheren Monumenten der venezianischen Terraferma ;fest-
stellen läßt: ihr gehören, wenn auch ohne die cosmateske Buntfärbigkeit, die beiden Eremitani-
Gräber an. Der dekorative Zug scheint überhaupt nicht von der Toskana, sondern von Ober-
italien ausgegangen zu sein. Besonders hier kam er zu einer großen Entfaltung: die Scaliger-Gräber
in Verona, vor allen jenes spätere des Can Signorio, die Area des hl. Augustinus in Pavia, Werke,
die sich, wenn nicht ganz, so doch zum großen Teil von den toskanischen Uberlieferungen des
Giovanni di Balduccio durch eine einheimische Weiterentwicklung zu befreien streben, zeigen den
dekorativen Sinn in einer ausgeprägten und auffälligen Form. Eine Vorstufe dazu bilden wohl
die Werke der De Sanctis-Bottega in Padua. Diese Konkordanz in der Stilrichtung ist aber nicht
das Einzige, was die venezianischen Werke dieser Zeit mit toskanisch-florentinischen gemeinsam
haben. Bereits Schubring 1 und Wullf2 haben die Möglichkeit ausgesprochen, daß der Stil Orcagnas

1 Vgl. Jahrbuch der königl. preuß. Kunstsammlungen 1900, S. 162.

2 Vgl. Monatshefte der kunstw. Literatur 1905, S. 159, und Jahrbuch der königl. preuß. Kunstsammlungen 1913, S. 99.
 
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