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Jolly, Julius
Recht und Sitte: einschliesslich der einheimischen Litteratur — Strassburg, 1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.23228#0156
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148 II. LlTTERATUR UND GESCHICHTE. 8. RECHT UND SlTTE.

Zwangsmittel der Smrtis noch in Anwendung. So herrschte im Süden die
takäzä, d. h. man liess das Haus des Schuldners durch gemietete Diener, die
er bezahlen musste, bewachen oder förmlich belagern, oder schnitt ihm die
Wasserzufuhr ab, oder drohte sich ein Leids anzuthun, bis er seine Schuld
bezahlte2. Verwandt hiemit ist das ehemals in ganz Indien und noch jetzt
in Nepal übliche dhartta (dharand), wobei der Gläubiger, namentlich wenn
er ein Brahmane war, so lange vor dem Haus seines Schuldners fastete, bis
derselbe nachgab. Der Schuldner musste gleichfalls fasten und seine Beschäf-
tigungen aufgeben; starb der Brahmane, so lud er die Sünde des Brahmanen-
mords auf sich3. Eine ähnliche alte Sitte hat sich bei der Eintreibung von
Spielschulden erhalten, die schon nach Mrcch. 31, 12 in der Weise erfolgen
kann, das man einen magischen Kreis um den Schuldner zieht (dyütamandalhn
krtvä), den er bis zur Zahlung der Schuld nicht überschreiten darf4.

1 BG 5, 373 f.; 16, 121 f.; 17, 304 u. s.w.; Steele 264 f. Vgl. Kohler ZVR 8,
125 f.; 10, 163 ff. — 2 Wilson, Glossary s. v. takäzä; Steele 267 f.; BG 16, 304 fr. —
3 Wilson s. v. dharnä; Hodgson, Ess. 2, 234 f. — 4 Pischel in Philol. Abh. (Berl.
1888) 74.

6. SITTEN UND GEBRÄUCHE.

§ 54. Der Brahmanenschüler und der Familienvater. Von den
drei Hauptteilen, in die der dharma nach Y. und späteren Autoren zerfällt,
Sitte, Recht und Busse, bleibt jetzt noch die Sitte (äcära) zu besprechen übrig.
Da jedoch wichtige Punkte aus dem Sittengesetz schon früher, namentlich im
Ehe- und Familienrecht zur Sprache gekommen sind, das Recht der Kasten
und Stände in den Staatsaltertümern darzustellen ist, die für die Sittengeschichte
besonders wichtigen srauta- und grhyasüt?-a, dann die Privataltertümer separat in
diesem Grundriss behandelt werden sollen, so kann ich mich im Nachstehenden
auf einige Andeutungen über äsrama und samskära, die »fünf grossen Opfer«
und die Totenopfer, die Bestattungs-, Reinheits- und Speisevorschriften be-
schränken.

Den vier Ständen der Brahmanen, Ksatriya, Vaisya und Südra stellt das
brahmanische Recht die vier Lebensstufen (äsrama) des Brahmanenschülers,
Familienvaters, Waldeinsiedlers und Bettelmönchs an die Seite. Der Brah-
manenschüler soll, nachdem er durch die Einweihungsceremonie (ufianayana,
% 55) in die Lehre aufgenommen worden ist, bei seinem Lehrer (gttru) wohnen
und unter seiner Leitung die Vedas studiren. Für jeden der drei oder vier
Vedas wird ein zwölfjähriges Studium für erforderlich gehalten, so dass also
ein Zeitraum von 48 Jahren als Maximaldauer der Lehrzeit herauskommt,
während das Minimum 12 Jahre betragen soll (ÄJ>. 1,2, 12—16; Gaut. 2,
45—47 u. a.). Doch braucht man die Vedas nicht länger zu studiren als bis
man sie inne hat, und nach einem alten Spruch soll man die heiligen Feuer
anzünden, also seine Lehrzeit absolvirt haben, ehe man graue Haare hat
(Baudh. 1, 3, 5). Ausnahmsweise kann der Schüler sich auch als naisthika-
brahmacärin dauernd einem geistlichen Leben widmen; er muss dann, wenn
sein Lehrer gestorben ist, den Sohn oder auch die Witwe desselben oder einen
älteren Mitschüler, eventuell das heilige Feuer in gleicher Weise wie vorher
den Lehrer bedienen (Gaut. 3, 4—9; Vi. 28, 43—46 u. a.). Das Verhalten
des Schülers gegen seinen Lehrer auf das Genaueste zu regeln, ist den Ver-
fassern der Smrtis eine Hauptsorge. Schon in aller Frühe muss der Schüler
sich nach Verrichtung seiner Morgenandacht bei dem Lehrer melden und
ehrerbietig seine Füsse umfassen1; er darf nicht neben ihm sitzen, ihn nicht
zuerst ansprechen, in seiner Gegenwart sich nicht in einer nachlässigen Stellung
 
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