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Zweites Buch. I. Das apostolische Antiquariat.

wecken Sie diesen Trieb" (nämlich nach Italien), ermahnt er Heyne, „wo
Sie feine Sinne bemerken".
Es ist eine Lieblingsidee Winckelmanns, daß Schönheit des Körpers und
der Gemüthsart zum Sinn für das Schöne, zu desfen Hervorbringung dis-
ponire, diefe Fähigkeit ankündige. Gleich bei feinem ersten Auftreten äußerte
er, daß nicht weniger als eine fo fchöne Seele wie die Raphaels war, in
einem fo schönen Körper erfordert worden fei, die Schönheit der Antike wieder
zu empfinden und nachzufchaffen. So heißt es hier: „Es ist diese Fähigkeit
in wohlgebildeten Knaben eher als in anderen zu suchen, weil wir insgemein
denken wie wir gemacht sind, in der Bildung aber weniger, als im Wesen
und in der Gemüthsart: ein weiches Herz und folgsame Sinne sind Zeichen
solcher Fähigkeit. . . Da sich auch das wahre Schöne der menschlichen Figur
insgemein in die unschuldige stille Natur einzukleiden Pflegt, so will es durch
einen ähnlichen Sinn gefühlt und erkannt werden. Hier ist kein Pegasus
nöthig, durch die Luft zu fahren, sondern Pallas, die uns führt". So erschien
das Thema der Schrift in einer inneren Beziehung zu ihrer persönlichen
Veranlassung: „Ihre Bildung ließ mich auf das was ich wünschte schließen,
und ich fand in einem schönen Körper eine zur Tugend geschaffene Seele, die
mit der Empfindung des Schönen begabt ist".
Diefe Idee nun gehört zu einem Kreis verwandter Ideen, die alle, wie
die Figuren eines schattenlosen Gemäldes, in ein reines Licht des Schönen
getaucht sind. Wie an südlichen Küsten alles dunkle, undurchsichtige, feste,
die kahlen Gebirge, das öde Meer zu lichter, farbiger Wesenheit verklärt wird,
so treten wir beim Lesen dieser Blätter in einen Bezirk, an desfen Pforte
die mühsame Arbeit, die düstre Gelehrsamkeit, die heftige Leidenschaft, das
unruhige Verlangen vergebens anklopft:
„wie im Leben, so im Dichten
ist das höchste Gut die Gnade":
Gunst des Himmels, Ruhe des Gemüths, Freundschaft, schöne Bilder die
uns umgeben wie die Luft so wir athmen, das ist der Blumenpfad der uns
zum Tempel des Schönen führt.
Jene Idee erscheint weniger „seltsam" (wie sie der Recensent in der
Bibliothek der schönen Wissenschaft nannte), wenn wir den Satz damit in
Verbindung bringen, daß das erste Werkzeug alles Geschmacks der „äußere
Sinn" ist, während ihr „Sitz" 'der innere ist. Die Tugend dieses Werkzeugs
ist „Richtigkeit des Auges, das die wahre Gestalt — Farbe sowohl als
Form — und Größe der Vorwürfe bemerkt".
Dieser Tüchtigkeit des sinnlichen Organs entspricht in der Seele oder
Einbildungskraft die Kraft, Deutlichkeit und Dauer des Gedächtnißbilds, „die
lebhafte Bildung des betrachteten Schönen. . . Ihre Kraft wächst wie das
 
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