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Justi, Carl
Winckelmann, sein Leben, seine Werke und seine Zeitgenossen: mit Skizzen zur Kunst- und Gelehrtengeschichte des 18. Jahrhunderts (Band 2,2): Winckelmann in Italien — 1972

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https://doi.org/10.11588/diglit.52964#0089
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§ 104. Angelica Kaufsmann.

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Moment, die Scene von Goethe's Wanderer stand gleich nach der Vorlesung
so lebhaft vor ihr, daß es, wie sie sagte, von ihrer Seite nichts weiter be-
durfte als einer treuen Copie. So war es wieder die Seele, aus der die
Composition hervorkam; sie war „eine Dichterin mit dem Pinsel". Dieß
poetische Element, die Erfindung, der Ausdruck der Psyche des Künstlers war
ein neues Element. Von jetzt an wurde unter den Malern nach poetisch-
historischer Bildung gefragt und gestrebt; nnd Herder schien Angelica „viel-
leicht die cultivirteste Frau in Europa". Sein und Goethe's Bild standen
ihrer Staffelei gegenüber, zur Erinnerung an die köstlichsten Momente ihres
Lebens.
Die anmuthigste Leichtigkeit (lranelm^a) der Epecution kam ihr dabei
zu Hülfe. Goethe fchreibt ihr ein „unglaubliches, und als Weib wirklich
ungeheures Talent" zu. Diese hohe Gabe malerischer Sprache gab ihr das
Erkühnen, und das was sie selbst war, das Recht, zu ihrer Zeit zu reden.
Denn alles was sie malte, war ein Spiegel ihres reinen, zartgestimmten
Gemüths. „Alle ihre Werke, sagt Reinhart, sind von dem Hauche einer Seele
belebt, welche bloß dasjenige im Raume wiedergab, was sie selbst war".
„Jedes Bild, sagt ein anderer ihrer Verehrer, ist ein Ausdruck ihrer schönen
Seele, ein Engel gab ihr Namen, Griffel und Farbenschmelz". Eine Ma-
donna nannte sie Herder, „eine schweigende sittliche Grazie". So kam
nun freilich in ihre Frauengestalten eine „eigene unnachahmliche Weiblichkeit",
ein Hinschmachten, ein rührendes Ergeben, das alle männlichen Kenner ein-
nahm, aber ihre Männer schienen doch „so züchtig und blöde wie verkleidete
Mädchen". Und so machen ihre Bilder auf uns den Eindruck einer ver-
gangenen Mode, sie erinnern an die Zimmer unserer Großeltern; wenn man
auch an vielen noch immer Freude haben kann, in Einzelnen Augenblicken,
wie an allem was „rein, verfeinert, distinguirt", geschmackvoll, empfunden ist.
Man nannte sie einst „eine liebliche Erscheinung jener Zeit der dämmernden
Morgenröthe eines besseren Geschmacks".
 
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