Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
8

raz keineswegs auf das Simonideische Diktum anspielt, da er die darin gekennzeich-
nete Beziehung zwischen Dichtung und Malerei - "sprechend" und "schweigend" -
gar nicht erwähnt und auch an keiner anderen Stelle seines Werkes in seine poetolo-
gischen Überlegungen einbezieht. Horaz lieferte nur die sprachliche Kürze und Ein-
prägsamkeit der Formel für den Vergleich der Malerei mit der Dichtung; ihm selbst
wurde das "ut pictura poesis" nicht im Sinne des Simonides zu einem poetologischen
Grundsatz. Horazens Erläuterungen des "ut pictura poesis" gehören in den Bereich
der Wirkungsästhetik. Er thematisiert keineswegs das "Prinzip der Mimesis" mit "ut
pictura poesis", wie Manfred Fuhrmann meint: "die horazische Maxime gilt bereits
für Aristoteles"4. Eine "horazische Maxime", die in Aristoteles' Poetik enthalten sein
soll, läßt sich bei Horaz nicht nachweisen. "Ut pictura poesis", "was invoked more
and more as final sanction for a much closer relationship between the sister arts than
Horace himself would probably have approved"5. Rensslaer W. Lee zeigt, daß die
Kritiker der Renaissance und des Barock die "Poetik" des Aristoteles mit der Hora-
zischen Formel erklärten, um Dichtung und Malerei identifizieren zu können6. Hier-
in, in der Wirkungsgeschichte des "ut pictura poesis" liegt die Begründung, das Ho-
razische "ut pictura poesis" mit Aristoteles' Vergleichen zwischen Malerei und Dich-
tung in Zusammenhang zu bringen.

Für die Malertheoretiker der Renaissance erklärt "ut pictura poesis" program-
matisch, was sie in ihren wissenschaftlichen Traktaten zu beweisen versuchen: die
Ranggleichheit der Malerei mit der Dichtung. Von nun an wird "ut pictura poesis"
zum Topos im "Rangstreit der Künste", dem sogenannten "Paragone", und mit dem
Simonidesdiktum gleichgesetzt. Winckelmann, der diese Traktate kannte, stellt sich
durch den Rekurs auf Simonides und Plato außerhalb der kunsttheoretischen Dis-
kussion über die Hierarchie der Künste.

In der kunstkritischen Diskussion des 18. Jahrhunderts wurden die Beziehungen
der Künste zueinander an Hand des ergiebigsten Beispiels 'sprechender Malerei', der
Schildbeschreibung aus der Ilias (= 18. Buch, 478 ff.) abgehandelt. Es geht dabei um
die Frage, ob die Schildbeschreibung der poetischen Fiktion zuzuordnen, ob die
Vorlage für die Bildbeschreibung erfunden ist oder ob ein wirklicher bzw. mehrere
Schilde als Vorlage angenommen werden muß. Jean Boivin kommt in seiner "Apo-
logie d'Homere et du bouclier d'Achille"7 zu einer Vielzahl von Vorlagen der
Schildbeschreibung, weil er der poetischen Beschreibung einen strengen Abbildbe-

ohne sich vor dem feinen Scharfsinn des Kritikers zu fürchten;
haec placuit semel, haec deciens repetita placebit."

das eine gefiel auf den ersten Blick, das andere wird erst nach zehnmaliger Betrachtung gefallen."
Horaz illustriert den Vergleich der Malerei mit der Dichtung an der Wirkung verschiedener Gemäl-
dearten auf den Betrachter - Unterschiede und Wirkungen, die auch in der Dichtung bestehen.

4 Manfred Fuhrmann, Einführung in die antike Dichtungstheorie, Darmstadt 1973, S.6.

5 Rensslaer W. Lee, UT PICTURA POESIS: The Humanistic Theory of Painting, New York 1967,
S.3.

6 ebd., S.5. Vgl. dazu auch den Kommentar zu den Versen 361-365: CO. Brink, Horace on Poetry,
Bd. 2, The "Ars Poetica", Cambridge 1971, S.368-372 u. S.507.

7 Jean Boivin, dit de Villeneuve, Apologie d'Homere et du bouclier d'Achille, Paris 1715.
 
Annotationen