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III. Die hermeneutischen Voraussetzungen in
Winckelmanns Kunstverständnis

1. Maximen der Geschichtsschreibung

In seinem Bewerbungsschreiben an den Grafen Heinrich von Bünau, einen
Staatsmann und Historiker, scheint Winckelmann mit 30 Jahren schon so sehr von
Resignation geplagt zu sein, daß er sich seine Zukunft nur noch als Bibliothekar und
damit allen Händeln der Welt enthoben vorstellen kann. Da er sich um die Stelle eines
Bibliothekars bewirbt, bittet er, und da er bereit ist, seine Qualitäten unter Beweis zu
stellen, fordert er. Er bietet dem Grafen seine Dienste an, aber formuliert so, als wollte
er sich diesem Dienst gleichzeitig entziehen: "Je suis pret de me sacrifier aux Services
de Votre Excellence. Placez moi donc dans un coin de Votre Bibliotheque". Er scheut
sich nicht, daraufhinzuweisen, was er sich von seiner künftigen Stellung eigentlich
erhofft: "J'envisage le raion d'une efficace protection qui se repandra sur moi et qui
fait dejä reluire dans mon coeur la douce esperance de me familiariser davantage avec
les Muses."

Bei aller Dienstfertigkeit, die Winckelmann gezwungen ist, an den Tag zu legen,
weiß er offensichtlich, welchen Ton er anschlagen muß, um sein Ziel zu erreichen. Er
besitzt genügend Selbstbewußtsein und Selbstsicherheit, um nicht unterwürfig zu
wirken. Welcher Sache er sich widmen will, sagt er deutlich genug:" Je suis un homme
qui ne desire qu'ä se consacrer aux etudes". Er gibt mehrere Gründe an, warum er die
Stelle eines Bibliothekars anstrebt. Die Gründe ergeben eine kritisch-polemische
Zeitskizze, in die er auch seine Selbstcharakteristik verpackt. Fünf Jahre Lehrtätigkeit
stauten in ihm so viel Ärger über das Schulsystem und die Lerninhalte auf, daß er sich
angewidert von der Schule abwendet: "l'etat deplorable de toutes les ecoles de nos
contree m'en a tout ä fait degoute"; auf die griechische Literatur, der er sich so sehr
widme, gebe man nichts, und nur wenige junge Leute widmeten sich der italienischen
und englischen Sprache. Geschichte könne man nur mit den entsprechenden Aufla-
gen lehren, und auf den Akademien wimmle es von jungen Philosophen, in deren
Klüngel man nicht eindringen könne. Sein Berufsglück und sein Auskommen seien
unter der Herrschaft der philosophischen Spekulation aufs Spiel gesetzt; "dans un
Siecle Metaphysique, oü les belles-lettres sont foulees aux pieds". Wie sehr er auf
Unabhängigkeit des Geistes bedacht und sie zu bewahren gewillt ist, zeigt sein Hin-
weis, warum er das Theologiestudium aufgab: "ne me laissant jamais eblouirpar des
conditions favorables dans l'Eglise". Die Frage "Que reste-t-il a faire?", mit der er das
Resümee seiner intellektuellen Biographie schließt, enthält auch die Forderung an
 
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