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Roland Hampe überprüft die Darstellungsweise der homerischen Gleichnisse
und der Bildkunst zu Homers Zeiten, die, wie eben bei Lessing, auch allgemein als
gegensätzlich empfunden wird13. An einer Grabamphora aus der Zeit um 800 v. Chr.
zeigt Hampe, daß das Bild im zeitlichen Sinne nicht als Einheit aufzufassen ist und
die Darstellungsformeln keine Momentaufnahme wiedergeben, sondern andeutend
zusammenfassen. Die mit dem dargestellten Vorgang vertraute Einbildungskraft
vervollständigt die Andeutungen zur umfassenden Vorstellung14. Hampe erkennt in
den homerischen Gleichnissen und in der Bildkunst der Frühzeit das gleiche Verfah-
ren, "durch knappste Andeutung dichteste Vorstellung zu vermitteln". Dieser
Grundzug "durchzieht die griechische Kunst, in manchen Abschattierungen, bis zur
Klassik"^.

Was in der Realität oder der evozierten Geschichte zeitlich und räumlich weit
auseinanderliegt, kann im Bild zu einer Einheit zusammengefügt werden. Homer hat
in den Vasenbildern seiner Zeit keine Darstellungen von Zuständen vorgefunden:
"Der wesentliche Inhalt der Bilder ist immer ein Tun, und Tätigsein ist hier als der
wesentliche Ausdruck des Menschseins begriffen. So ergibt sich die Szene der Bilder
allemale aus der Handlung"16. Hier verringert sich der Akt der 'Umgestaltung' ins
Medium der Sprache auf die in Sprache gefaßte Verbindung der Handlungen, auf die
Überbrückung der Handlungslücken, da die Handlung selbst schon dargestellt ist
und der 'prägnante Augenblick' nicht erst erzählerisch in eine Handlung befreit wer-
den muß. Noch über das 6. Jahrhundert hinaus bleibt die "Lust am Erzählen und
Schildern [...] der vorherrschende Zug der griechischen Malerei"17.

Carl Robert, von einem klassischen Einheitsbegriff ausgehend, vermißt bei den
Handlungsdarstellungen auf den Vasenbildern aus der archaischen Zeit "die Einheit
der Handlung: alle Figuren sind mehr oder weniger mit sich selbst beschäftigt, jede
ist eigentlich in einem anderen Moment der Handlung aufgefaßt, oder richtiger, der
eigentliche Moment der Handlung ist vom Künstler unbestimmt gelassen", da "diese
archaische Kunst von keiner Beschränkung wissen will, [...] und gleich Alles erzählen
möchte"18. Die gleiche Unbestimmtheit stellt Robert auch hinsichtlich der Zeit und
des Ortes der Handlung fest19. Daß jedoch heterogene Handlungsperioden auf einem
Bild versammelt werden können, erweitert die Erzählmöglichkeiten der bildlichen
Darstellung. Die Verknüpfung der Handlungsstränge erweist sich als in Bildformeln

13 Roland Hampe, Die Gleichnisse Homers und die Bildkunst seiner Zeit, Tübingen 1952, S. 6.

14 ebd., S. 23 f.

15 ebd. S. 39. Hermann Frankel sieht die Entsprechungen noch enger: "die Bildwerke des ägäischen
Kulturkreises zeigen eine dichterische Szenengestaltung; die empfindsame Naturauffassung und
einige Besonderheiten der Stoffwahl sind ihnen mit den homerischen Gleichissen gemein." (H.F.,
Die homerischen Gleichnisse, Göttingen 1921, S. 104).

16 Wilhelm Kraiker, Die Malerei der Griechen, Stuttgart 1958, S. 17.

17 ebd., S. 37

18 Carl Robert, Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage,
Berlin 1881, S. 15 f., (=Philologische Untersuchungen, 5.Heft). Ernst Pfuhl zitiert Carl Robert und
bestätigt: "möglichst viel auf einmal sagen, führt zu den bekannten räumlichen und zeitlichen
Naivitäten, dem Zusammendrängen einer zeitlichen Folge und entfernter Orte in einem Bild."
(E.P., Malerei und Zeichnung der Griechen, 3 Bde., München 1923, Bd.l, S.319).

19 Carl Robert, Bild und Lied, S.20
 
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