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Käfer, Markus
Winckelmanns hermeneutische Prinzipien — Heidelberg, 1986

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https://doi.org/10.11588/diglit.11396#0033
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Reaktion, als Caylus in sein auch privat abgesichertes Wissenschaftsrevier einzudrin-
gen versucht: "Er [Caylus] suchet durch verschiedene Wege in der Villa des Cardinais
zeichnen zu laßen, welches ich ihm aber und einem jedem verhauen habe. Denn was
ich selbst gebrauchen kann, soll kein anderer haben"27. Um so unverständlicher ist es
ihm, als er feststellen muß, daß dieser 'Einbruch' trotz aller Vorsichtsmaßnahmen
gelang28.

Winckelmanns Kritik an Caylus fällt auch deswegen so hart aus, weil Caylus mit
seinen kunsttheoretischen Bemerkungen ein Wissenschaftsprogramm vorschlägt,
ohne es jedoch selbst zu realisieren. Die Bestimmung seiner Methode scheint auf
Theoremen zu berühren, die neue Wissenschaftsergebnisse erwarten lassen: "cette
methode [...] consiste ä etudier fidelement, l'esprit & la main de l'Artiste, ä se penetrer
de ses vües, ä le suivre dans l'execution, en un mot, ä regarder ces monumens comme
la preuve & l'expression du goüt qui regnoit dans un siecle & dans un pays." Doch
simplifizierend fährt Caylus fort: "Le culte d'un peuple se reccondit aux symboles qui
caracterisent ses Divinites; son goüt est indique par la maniere dont il habille ses
figures"29. Caylus formuliert eine Methode, deren Erkenntnisziele er selbst in ihrer
Provokation und wissenschaftsprogressiven Tendenz wieder zurücknimmt. Er
spricht "de la maniere noble & simple du bei antique"30, jedoch in der Sprechweise
von Epitheta, die der Erläuterung bedürften.

Klarer und bestimmter wird seine Sprache, wenn er Ergebnisse seiner empirischen
Forschungen darlegt. Sein eigentliches Ziel ist es nämlich, das Gegenständliche eines
Kunstwerkes zu analysieren. "En un mot, Les Arts sont en quelque facon l'objet
principal de cet ouvrage; la forme, le trait & les details de chaque monument sont
devenus mes regles en plusieurs occasions"31. Er vergleicht seine Methode mit den
Beobachtungen und Experimenten eines Physikers: "la voie de comparaison, qui est
pour 1'Antiquaire ce que les observations & les experiences sont pour le Physicien"32.
Welchen Einflüssen ein Künstler ausgesetzt war, wie der Künstler diese Einflüsse
seiner Kunstidee, seiner Vorstellung vom Kunstgegenstand ordnete oder sie zum
Ausdruck brachte, in welcher Weise sich eine künstlerische Vorstellung realisiert, das
sind Fragen, die Caylus sehr wohl stellt, aber nicht zu beantworten wagt. Hier zeigt
sich die ganze Skepsis eines Kunstempirikers, der vor allem die Beschaffenheit des
verwendeten Materials und die Originalität des Kunstobjektes untersucht.

Wird von ihm verlangt, über das empirisch Nachprüfbare hinaus ein Kunsturteil
zu fällen und zu begründen, sieht er sich in hermeneutische Schwierigkeiten verstrickt.
Wie kann man aus einer historischen und kulturellen Distanz heraus die objektgemä-
ßen Verstehensbedingungen einholen und rekonstruieren, fragt er sich, wenn er seine
ahistorische Betrachtungsweise problematisiert: "Comment donc developper

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Briefe, Bd. II, S.102, an Stosch, 4. Okt. 1760

s. Brief an Usteri, in: Briefe, Bd. II, S.247, 4. Juli 1762

Receuil d'Antiquites. ...Bd. I, Avertissement S. vij

ebd., S. xiij

ebd., S. xi f.

ebd., S. iij f.
 
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