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Hannoversche Kunst- und Auktionssäle Hans Katzer [Hrsg.]
Gemälde alter und moderner Meister aus dem Nachlass der Baronin von Muhlert-Camen: deutsche, italienische, niederländische Meister des XVII. und XVIII. Jahrhunderts ; Sammlung Fabrikbesitzer Bl.-Bochum, Düsseldorfer und Münchener Schule, französische und deutsche Impressionisten, Expressionisten ; Beiträge a. einer Frankfurter Privatsammlung und aus anderem Privatbesitz, mittelalterliche Holz- und Elfenbeinskulpturen, alte Meister u. a. ; moderne Gemälde und Plastiken erster hannoverscher Künstler ; [Versteigerung: Mittwoch, den 29. Februar und Donnerstag, den 1. März 1928] — Hannover, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.21719#0006
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VORWORT

Es hat einen eigenen Reiz, Kunstwerken auf Ausstellungen von Auktionen zu
begegnen. Erregend ist das Neue, das quasi Unberührte, das überraschende.
Die sorgsam gehüteten und sorgfältig wissenschaftlich bestimmten Gemälde
in den Museen finden sich in einem geordneten Kreis (Italiener des 17. Jahr-
hunderts bei Italienern dieser Zeit usw.) und zeigen schon ein eindeutig
bestimmtes Gesicht. Hier aber wirken zunächst die ursprünglichen Werte:
Inhalt, Gehalt und Form, stellen Fragen, geben Rätsel auf, fordern zum Er-
kennen heraus, verlangen eine Entscheidung. Gewiß bergen diese Reize auch
Gefahren (des menschlichen Irrens); denn dem Urteil ist nur kurze Zeit —
und nicht wie in den Museen ein ruhiges, oft Jahre lang dauerndes Stu-
dium — gegönnt, und wie unendlich groß ist das Bereich, wer kann die
Abertausende alle kennen, die einmal gewirkt haben und die neben den
immer wieder genannten Großen längst vergessen sind. Allein, gerade diese
ungeheure Vielfalt, diese Unerschöpflichkeit ziehen an, und die Überraschungen
bilden eine Quelle der Freude und des Genusses für Kenner und Freunde
der Kunst.

Auch in dieser Ausstellung ist Gelegenheit, am Bekannten und Unbekannten
zu lernen, sich an Geist und Form, am Suchen und Ringen, am vielfältigen
Wandel zu erfreuen und ein besseres Urteil zu wagen, als die Besserwisserei
vor dem von der Wissenschaft bereits Erforschten und Bestimmten. Werke
des 16. bis 19. Jahrhunderts, z. T. bedeutendere, führen durch den Wandel
der europäischen Formwelt der Malerei.

Die von dem Münchener Hofmaler Christoph Schwarz (1550—97) ge-
malte Pieta (Nr. 36) ist ein respektables Bild der sog. deutschen Renaissance.
Die mittelalterlichen deutschen Pietä-Darstellungen zeigten die Mutter, wie
sie den toten Sohn wie ein Kind im Schoß hält. Sehr bezeichnend für den
geänderten Formgeist lehnt sich hier Christus nur an die nach rechts ge-
wandte Mutter, und die Figuren sind einer bewußten Komposition unter-
geordnet. Diese nur durch den rechten Arm Christi zerissene Formkonstruk-
tion atmet Geist der südlich-heroischen Formgesinnung, der sich auch die
sparsamen, wesentlich auf Graubraun gestimmten Farbtöne unterwerfen.

Das leider etwas beschädigte und stellenweise übermalte Damenbildnis
vom Jahre 1563 (Nr. 3) kann etwa gleichzeitig mit dem vorigen ent-
standen sein und bewegt sich doch in Auffassung und Durchführung auf
einer ganz anderen Linie. Der Unterschied gegenüber den etwa 100 Jahre
älteren deutschen Porträtlösungen ist kein fundamentaler, im Gegenteil
scheinen — wie es auch bei manchen Plastiken dieser Zeit geschehen ist —
gewollte Anknüpfungen an das Formideal des Mittelalters den Bildstil
bestimmt zu haben. Allerdings wird die Entstehungszeit in der freieren
Haltung, der Klärung des Individualcharakters und auch in Trachterscheinungen
doch deutlich.

Die hl. Anna mit der kleinen Maria (Nr. 20), scheinbar Fragment
einer größereren Darstellung (Tempelgang Mariae?) dürfte ein Bild eines
italienischen Manieristen des späten 16. Jahrhunderts sein. Der
großgesehene Zusammenschluß der Figuren, die schöne schützende Geberde

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