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Kerschensteiner, Georg
Die Entwickelung der zeichnerischen Begabung: neue Ergebnisse auf Grund neuer Untersuchungen — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.27816#0182
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j62

Die Entwickelung der zeichnerischen Begabung.

Die erste Stufe
der Blumen-
darstellung.

den Kindern die Darstellung einer bestimmten Pflanze verlangen
werde. Ich musste mich an die wenigen Begriffe halten, mit deren
Namen alle Kinder auch schon im Alter von sechs Jahren einigen
Inhalt verbinden und das sind eigentlich nur zwei: Der Baum und

die Blume. Die wenigen unter den jüngeren Kindern, deren Begriffe
bereits reicher an Umfang und Inhalt waren, brachten ohnehin beides
in ihren graphischen Darstellungen zum Ausdruck, sei es, dass sie
verschiedene Blumen und Bäume darstellteäi, sei es, dass sie die ein-
zelne Darstellung mit ihren Mitteln weiter ausführten.

Nach den mehr als 20,000 Kinderzeichnungen von Blumen und
Bäumen, die mir die Versuche lieferten, besteht der fast allen Kindern
im Alter von sechs Jahren jederzeit zur Verfügung stehende Inhalt,
den sie mit dem Begriff Blume verbinden, aus Blüte und Stengel.
Die Blüte wird bei einer grossen Anzahl der Kinder durch einen
grösseren oder kleineren Punkt, einen Kreis, einen Kreis mit Punkten
angedeutet, der Stengel durch einen Strich; ich will dieses Schema
das Knopfschema nennen. Eine andere grössere Zahl von Kindern
umgibt diesen Blütenkern noch mit einem Kranz von symbolischen
Blütenblättern, so dass die Darstellung an radförmige Blüten oder an
Huflattich, Sonnenblume u. s. w. erinnert. Ich will es als Kompo-
sitenschema bezeichnen. Die Zahl der Blütenblätter, die hiebei den
Kern umgeben, wechselt zwischen vier und beliebig vielen. Endlich ist
noch ein drittes Schema vorhanden, das aber wohl kein allgemein auf-
tretendes ist, sondern mit unserem Unterricht in unseren Münchener
Volksschulen zusammenhängt. In den Betrachtungen unseres natur-
kundlichen Unterrichtes spielt gemäss meiner Vorschrift die Tulipa
Gesneriana schon in der dritten Volksschulklasse eine Hauptrolle; im
fünften Schuljahr erweitert sich die Betrachtung noch auf die
wichtigsten Liliaceen (Tulpen, Lilien, Maiglöckchen, die beiden Schnee-
glöckchen etc.). Von den Kindern werden in den entsprechenden
Klasszimmern Tulpen gepflegt, beobachtet und wenigstens von den
Lehrkräften auch wohl vorgezeichnet. Infolgedessen finden wir sehr
häufig ein Tulpenschema in der Gestalt einer gezackten, halbmond-
förmigen, nach oben oder unten gerichteten Gasflamme, ein Schema,
das bisweilen auch zu einem Dreieck oder Zweieck ausartet, oder
die Form einer Glocke annimmt. In diesen drei Symbolen stellen
70—8o°/o der sieben- und achtjährigen Kinder die Blüte dar. Der Rest
der Kinder phantasiert allerlei andere Blütenschemata, von denen
ich auf Tafel 51 und 52 einige Beispiele angeführt habe. Bisweilen
werden diese Schemata auch noch durch Wurzelsymbole bereichert
oder in Verbindung mit einem Blumentopf wiedergegeben; häufig
 
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