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Kerschensteiner, Georg
Die Entwickelung der zeichnerischen Begabung: neue Ergebnisse auf Grund neuer Untersuchungen — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.27816#0488
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468

Die Entwickelung der zeichnerischen Begabung.

Zeichnungstechnik vorfinden, die neu zu erwerben das Menschenleben
zu kurz wäre. Wie sie alle voneinander gelernt haben, wie einer
auf den Schultern des andern emporgekommen ist, so werden auch
wir nur in die Höhe kommen, wenn wir uns die Erfahrungen der
Jahrtausende nutzbar machen. Um beispielsweise für die Erscheinung
des Glanzes eines Gegenstandes, des Samtes, des Glases, des polierten
Metalles den richtigen Ausdruck zu finden, würden wir wahrscheinlich
ohne die Belehrung anderer hundert und aber hundert vergebliche
Versuche anzustellen haben. Das Studium eines Meisters dagegen
wird uns zahlreiche Umwege ersparen. Bleiben wir dabei selbst-
ständig und suchen das von den Meistern Ererbte durch eigne Er-
fahrung täglich neu zu erwerben, so werden wir, die Begabung vor-
ausgesetzt, vielleicht auch über die Meister hinauskommen. Das gilt
aber nicht nur von der freien Kunst, das gilt ebenso von der gebun-
denen, ornamentalen. Wir können keinen „neuen Stil“ aus nichts
machen. Jeder Versuch den Stil zu bilden ohne Rücksicht auf
die Vergangenheit, sagt Owen Jones in seiner Grammatik des
Ornaments, ist ein Unternehmen höchster Torheit, da es die seit
Jahrtausenden angehäufte Erfahrung und Kenntnis mutwillig verwirft.
Wir müssen im Gegenteil (bei unseren Reproduktionen wie Produk-
tionen) all die erfolgreichen Bemühungen der Vergangenheit als ein
Vermächtnis betrachten und, ohne ihnen blindlings zu folgen, als
einen Leitfaden, uns im Auffinden des rechten Pfades beizustehen.

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