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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Was mir grad so einfiel
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0376
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N?as mir grad so emfiel

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R»s Trient. vc»l ls. L. von Berlcpsch

eingefallen, abcr nnrcr all dcn Einfällen — lladent sidi.
Und jetzt, wo ich an einem so heimcligcn und doch so
großartigen Platze nnserer schönen Herrgottswelt sitze nnd
die Kunst übe, von der es heißt:
Still liegen nnd einsam sich sviinen
Jst auch eine tapfere Kunst,
jctzt habc ich vermeint, es kvnnte niir allenfalls was cin-
fallen. Jch probier's halt einmal anf gut Glück.
Hcute früh, bei jenem Getränk, das man sonst in
der Welt Kaffee zu nennen Pflegt — es schmeckte aber
halb w!e Salvatorbier und halb sonst unaussprechlich —
heute früh also sprach ich mit einer Danie über dicses
mein Vorhaben und frug dabei, ob sie mir mit Federhalter
nebst Zubehör behülflich sein wolle, meinen Vorsatz auszu-
führen. Jch selber besitze momentan keinerlei dergleichen
Dinge nnd das nötige Schrcibzeug, was sich im Hanse
selber vorfindet, ist entschieden das letztemal Anno 9 beim
letzten Aufgebot gebraucht worden. Die Gute. die Dame
nämlich, gab mir nnn alles, was ich branchte nnd bemerkte
dabei ausdrücklich, daß sie den Federhalter schon seit un-
denklichen Zeiten benütze, womit ich meinerseits aber beileibe
nicht gesagt haben will, daß ihr Alter in einer gewissen
Wechselbeziehnng zu „unvordenklichen" Zeiten stehc, im
Gegenteil, und weiters vertraute sie mir an, daß mir vielleicht
schon aus dem Grunde allenfalls etwas einfallen könnte,
weil fie mit ebendemselben Jnstrument ihre sämtlichen
Liebes-, Braut- und Verehelichnngsbriefe Anno dazumal an
ihren jetzigen Mann geschrieben habe. Nun -— das könnte
am Ende sein, bedienen sich ja doch Medien, Phantome
und andere spiritistische Jndividuen auch gebrauchter Feder-
halter und Griffel, um, wenn es darauf ankommt, sogar
ägyptische Hieroglyphen zu schreiben, wie mir ein Frennd
versichert, den ich zwar stark im Verdacht habe, mehr in
Spirituosen als in Spiritismus, für gewöhnlich wenigstens,
zu machen. Dabei bleibt, so stelle ich mir vor, doch sicherlich
an diesen Jnstrumenten etwas hängen, und so hoffe ich
denn, daß die obengenannten Liebesbriefe nicht im früheren
Pensionsstile geschrieben worden seien. Jch hoff' es —
wissen kann ich's freilich nicht, denn es geschah ja vor „un-
denklichen" Zeiten, nnd seither kann sich gar manches ge-

ändert haben. Ja, wenn ich nun nnr grad so einfach,
prinzipienfremd schreiben könnte, in der Fasson einfach wie
so ein blühender Schwarzdornzweig, da eine einzelne
Blütc, dort ein ganzes Büschel, dazwischen dornartige An-
sätze, kleine, reizende grüne Blättchen, das ganze regellos
sich grnppierend an einen braunen Holzstiel, der wie ein
spätgotisches Ornament da und dort motiviert oder nn-
motiviert nmbiegt, im rechten Winkel, in einer beliebigen
Knrve, ganz ohne schulmeisterliche Anordnung und dabei
so fein in der Erscheinnng, so reizend gerade in dieser
legeren kknregelmäßigkeit, so künstlerisch frei, wie nnr irgend-
wic dcnkbar. He nnn, ich werd's versuchen, nachznmachen;
das ist am Ende das Vernünftigste, ohne System, ohne
Entwickelnng einer bestimmt sich hebenden oder senkenden
Gedankcnknrve, die, wie ein alter Gymnasialprofessor mir
einmal versicherte, in jedem ordentlichen Aussatz sich vor-
finden müsse, — ich wcrd's versuchen, wie's nnr grad so
aus Gcgenwart und Vergangenheit zusamniciiwächst, bald
im Bogcn, dann im rechten Winkel nnd dann wieder einmal
mit einer ganz nnmotivierten Lebensabzweignng, wie's niir
gerade eben einfällt. Jn München bin ich ja so wic so
nicht, der Stadt, von der kürzlich ein Schriftsteller sagte,
er kcnne nnnmehr die Jsar-Athener zicmlich genan nnd
möchte nnr wisscn, wie die eigentlichen Athener ausgcsehcn
hätten; ich bin schon ans diesem Grnnde um ein gnt Teil
nngenierter und darf die Gedanken in Hemdärmcln spazicren
gehen lassen.
Drüben überm Berg, überm Brenner nämlich, anf
dessen Südseiteich mich jetzt befinde, war überall charsreitägliche
Stimmung, trotz des schönsten Wetters, Litaneien über
Litaneien, schwerverdanliche Kaiserschmarren und Wasser-
suppen, — alles Dinge, mit denen ich mich nicht bcfrenndcii
konnte und wie ich nnn herüber kam gen Brixen, da war's
etwas menschlicher. Zwar hab' ich in der bischöflichen
Stadt viel unrasierte Gesichter und Soutanen gesehen und
Pfarrersköchinnen obendrein, aber die Bewirtung war
doch insofern menschlich, als ich etwas anderes als Mehl
nnd Wasser und Butter in den verschiedcnsten Kombina-
tionen zu essen bekam. Dann suchte ich die Grabplatte —
eigentlich ist's keine, denn der Betreffende liegt in Neustift
begraben — des Wolkensteiners anf, des Minnesängers,
der zu Süd-Tirol in besseren Tagen die Leier schlug.
Einst, es ist nicht lange noch her, stand sie drinnen im
gotischen, freskengeschmücktcii Kreuzgang in Gesellschaft von
Fürstbischöfen, Diakonen und anderen Clericis. Weiß Gott,
was er verbrochen haben mag gegen die Gilde der virorum
obscurorum, daß sie ihn hinausbugsierten, den schönen
Stein, an eine Mauer, wo er den Witternngseinflüssen
ausgesetzt ist. Wars die Sünde, daß jener Oswald einst
der jnngen Minne sein Lied sang, dieweilen die Herren
von Brixen blos an weibliche Gesellschaft gewohnt sind,
die das kanonische Alter erreicht hat? War's der Wider-
wille gegen eine Zeit, die in einer Art toleranter und
freier in ihrer ganzen Gebahrung war, als es die unscre
ist? Weiß nicht! Sie sind aber gottlob noch nicht aus-
gestorben in Tirol, die Männer, die einem freien Sange
das Wort reden. Drum hat auch der famose Jgnaz
Zingerle mit einem Häuflein von Studenten, die des Wolken-
steiners Andenken ehren wollten, ganz einfach eine Leiter
genommen, Nägel in die Mauer eingeschlagen und zwei
große Lorbeerkränze neben des Tichters steinernen Konterfey
an der Kirche aufgehängt, nachdem die Geistlichkeit
und infolgedessen auch die hochwohlweise weltliche Obrigkeit
 
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