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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Mendelsohn, Henriette: Die nördlichste Feste dänischer Kunst
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Boy-Ed, Ida: Erdrückt, [1]: eine Malergeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0414
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Die nördlichste Feste dänischer Kunst. von ksenriette Mendelsohn.

srs

Nero-Skudir. von Karl von Hiloty.

Mit Genehmigung von Franz Hanfstängl in München.

typus. Ein Paar festblickende stahlgraue Augen und
ein ungemein angenehmer Ausdruck des Mundes fesseln
während der Unterhaltung — wir finden in ihr das
bestätigt, was seine Bilder empfinden lassen: wir haben
es hier mit einer kraftvollen Persönlichkeit zu thun.
Wie Krsyer in seiner Kunst von den Franzosen nur
das gelernt, was der Entwicklung seiner eigensten
Individualität als Unterlage dient, so blickt auch aus

seiner Unterhaltung, aus weltmännischen geselligen Formen
der Seinestadt die ungebrochene Urwüchsigkeit einer nordischen
Vollnatur hervor. Der Vorraum seiner kleinen Villa
ist im ländlichen Empiregeschmack eingerichtet, hell und
behaglich ohne jeden Prunk. Das Atelier rings mit
größeren Werken und kleineren Studien bedeckt, läßt
nur Raum in einem Winkel für einen Webstuhl, an
welchem die Gattin mit kunstgeschickter Hand „himmlische
Rosen ins irdische Leben" webt. Entwürfe längst be-
rühmter Bilder schauen von den Wänden des Ateliers
auf uns herab. Hier die Studie zu dem großen Bilde
„Am Strande von Skagen", einst eine Ziede des Pariser
Salons, jetzt Eigentum der Münchner Pinakothek —
dort die in Licht und Sonne getauchte Skizze zu der
Gruppe badender Knaben „Ein Sommertag am Strande
Skagens" und ein Entwurf zu dem köstlichen Gemälde
der letzten Münchner Ausstellung „Stiller Abend am
Strande von Skagen". Eine herrliche in Farbenduft
schwimmende Haidelandschaft hat der Künstler bisher noch
der Öffentlichkeit Vorbehalten. Augenblicklich arbeitete
Kroyer an einem lebensgroßen Ölbild des bekannten
Malers und Dichters Holger Drachmann (Vergl.
Heft 17 dieses Jahrgangs, Seite 266), welcher gleich-
falls unter die treuen alljährlichen Besucher Skagens
zählt; er ist am Strande auf ein Boot gelehnt in feiner
Abendstimmung dargestellt. Die kleinere Skizze wie das
angefangene Bild lassen bereits voll Krsyers Allkönnen
bewundern; charakteristische Erfassung der Persönlichkeit
und Feinheit der Anordnung und Farbengebung.

Der nordischen Malerei war es im Gang der
modernsten Kunstentwicklung Vorbehalten, ein kräftiges
Gegengewicht gegen die an Formelwesen und nervöser
Phantasterei krankende Kunst der Franzosen zu bilden.
Skagens unsterbliches Verdienst ist es, die Stätte geworden
zu sein, wo unter der Führung dänischer Maler eine
internationale Künstlerschast das Motto ihrer Häupter
„keusche Naturbeobachtung und kraftvolle Pinselführung"
bis in die entnervten Salons der Seinestadt trug.

Erdrückt.

Line Malergeschichte.

ck^ie standen auf dem Bahnsteig und sahen dem davon-
fahrenden Zug nach. Die Mutter guckte mit weinenden
Augen über das Taschentuch hinweg, das sie vor Nase und
Mund zusammengedrückt hielt; Onkel Johannes schwenkte
hoch über seinen Kopf den Hut. Langsam und maje-
stätisch rollten die zusammengekoppelten Wagen der vorn
dampfenden Lokomotive nach, als gewaltige Schlange
glitt der Zug unter dem hochgewölbten Glasdach hinaus
und draußen, auf der Bahn der im Sonnenschein
glitzernden Schienen, verkleinerten sich seine Dimensionen,
bis er fern und winzig, flink den Blicken entschwand.

Da setzte Onkel Johannes entschlossen den Hut auf,
den er immer ein bischen schief auf dem Kopf trug und
ermahnte seine Schwester munter zu sein, ihr Junge
fahre doch direkt ins Land hinein, wo die Lorbeeren wild
wüchsen und wo es denn doch zu erwarten sei, daß ihm
etliche Zweiglein in den blonden Locken hängen bleiben
würden. Die Schwester trocknete gehorsam ihre Thränen
und ging neben dem Manne her, welchem das Bewußtsein
der eigenen Bedeutung aus jeder Bewegung sprach. Sein

von llda Boy-Ld.


grauer Rock, von jenem Grau, das an ein Gemisch von
Pfeffer und Salz erinnert, hing weit offen über Brust
und Bäuchlein auseinander, ließ ein gefaltetes Vorhemd
sehen mit einem merkwürdig großen Goldknopf darauf,
eine etwas straff zugeknöpfte schwarze Weste und eine
Doppeluhrkette, die vom Knopfloch aus nach rechts und
links in hängendem Bogen den Westentaschen zustrebte.
Sein Gesicht war voll, rot, heiter, mit dem Ausdruck
jemandes, der sehr mit sich zufrieden zu sein alle Ursache
hat. Das schmale, lange Frauenzimmer neben ihm sah
ihm wenig gleich. Das Leben hatte eben beide, die in
einer Wiege gelegen, umgebildet und auseinander wachsen
lassen. Und ein Mann, der als fleißiger, weitsichtiger
Besitzer einer Wiener Bäckerei nach zwanzig mühevollen
Jahren sich's nun wohl sein ließ als freier Mann und
Rentner, mußte am Ende anders dreinschauen, als die
Witwe eines Elementarschullehrers, die mit Hunger und
Hoffnungen ihren einzigen Sohn aufgezogen hatte.

Die Geschwister fuhren mit der Pferdebahn vom
Platz vor dem Bahnhof aus ihrer fernen Vorstadtstraße
 
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