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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Boy-Ed, Ida: Erdrückt, [1]: eine Malergeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0415

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Erdrückt, von Jda Boy-Ed.

227


zu. Onkel Johannes hätte sehr gern allen Insassen des
Wagens erzählt, daß er einen Neffen habe, der soeben
mit einem Stipendium in der Tasche, nach Italien ab-
gereist sei, um ein hochberühmter Maler zu werden. Da
dies nicht wohl anging, sprach er nochmals in seine
Schwester hinein, über alle Punkte sich verbreitend, die
er für wichtig hielt und für die er das staunende Interesse
der Mitfahrenden zu erwecken dachte.

„So ein Stipendium ist doch was Schönes", sagte
er mit seinem dunkel vokalisierenden bayerischen Dialekt,
„und daß unser Hans es bekam, war vorauszusehen. Ein
genialer Bube! Ja, der wird den Namen unserer
Familie noch in aller Leute Mund bringen. Ich muß
sagen, hätt' ich nicht als leiblichen Erben deinen Hans,
so müßt ich nimmer, ob ich mein Vermögen nicht auch
so festmachen thäte, daß nach meinem Tod alle Jahr
ein junger Maler von den Zinsen könnt' nach Italien
geschickt werden. Freilich, ein bischen reicher würd sich's
da bemessen. Dreitausend Mark für zwei Jahre, das
ist knapp; so ein junger Mensch soll doch leben, wohnen
und das Material kostet auch. Ja, das bedenken die
meisten nicht, daß ein Bild dem Maler auch Kosten
macht. Nun, der Hans hat zum Glück seinen Onkel,
der den Geldbeutel aufthut und
sagt: „Junge, was es mehr
kostet, zahle ich".

Die Frau fühlte sich ein
wenig geniert durch das prahle-
rische Sprechen ihres Bruders,
erstens der Leute wegen und
dann war ihr's selber so ver-
legen in Anbetracht der noch
sehr frischen Erinnerung, daß
Onkel Johannes seinen malen-
den Neffen als ein verlorenes
Subjekt angesehen hatte, nur
weil dieser nicht auch Bäcker
werden wollte. Onkel Johannes
hatte gewissermaßen ein Recht,

Künste und Wissenschaften zu
verachten, denn sein Vater hatte
als Kupferstecher ein Leben
voll Not geführt, zwei Maler,
die bei Onkel Johannes ge-
wohnt, waren ihm die Miete
schuldig geblieben und sein
Schwager, der Elementarlehrer,
hatte Frau und Kind mit vier-
hundert Mark Pension in der
Welt zurückgelassen — ein
Rechenfehler im Fazit des Da-
seins, welches der Onkel durch
seine Zuwendungen gut machen
mußte. Und da am Ende jeder-
mann seine eigenen Erfahr-
ungen für die allgemein gültige
Weisheit anzusehen berechtigt
ist, konnte man Onkel Johannes
seine Abneigung gegen die Ma-
lerei nicht verargen.

Diese Abneigung verwan-
delte sich mit der wunder-
barsten Elastizität sofort in

die größte Begeisterung, als Hans ber der Konkurrenz
um das Stipendium den Preis davongetragen und zu-
gleich auch ein Porträt seines Onkels vollendete, zu
welchem dieser ihm ungern genug gesessen.

Er — Onkel Johannes — hatte es stets gedacht,
daß der Hans ein Genie sei und nur um dem Buben
nicht vor der Zeit etwas in den Kopf zu setzen, habe
er manchmal ein bischen rauh gethan.

Ob das Stipendium oder das Porträt den Haupt-
anteil am Verdienst dieses Gesinnungswandels hatten,
blieb unentschieden. Sicher war, daß Onkel Johannes
nicht satt wurde, sein Bild im Spiegel mit dem Bild
auf der Leinwand zu vergleichen und sich daran zu er-
götzen, was für ein famoser Kerl er so dem Aussehen
nach sei und daß er es bislang selber eigentlich nicht
gewußt. Er versicherte jedem, wie „kolossal" ähnlich
das Bild sei, obschon einige Nachbarn und die Genossen
vom Stammtisch — es war in des Onkels Leibbräuhaus
getragen worden zur Besichtigung — es geschmeichelt
fanden.

Während nun der stolze Onkel und die zwischen
Trauer und H offnung schwankende Mutter ihrer Wohnung
zufuhren und der Onkel sich allmählig in seinen Reden

Nero nach dem Vrande Roms. (Tragmrnl.) von Karl von piloty.
 
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