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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 17.1902

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Floerke, Gustav: Wie urteilte Böcklin über moderne Malerei?
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https://doi.org/10.11588/diglit.12080#0093
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-*-5^> WIE URTEILTE BÖCKLIN ÜBER MODERNE MALEREI?

Ich denke, es geht dem Künstler in allen
Bethätigungsarten gleich: er gestaltet, was
der Augenblick bringt, oder verlangt.
Karl Hillebrand („Briefe eines ästhe-
tischen Ketzers") nennt die ganze Stoffmalerei
(Geschichte, Genre etc.) — also Delaroche,
Gallait, Piloty, Gero.me, Knaus, Heil-
buth etc. — veredelte Bilderbögen und spottet
über den Beschauer, der sich über das ernste
oder lustige Geschichtchen freut, das man
ihm erzählt, froh ist, wenn er's errät. Eben-
so über die „Ausdruck"simpel ä la Ary
Scheffer, bei denen der Hauptreiz für den
Philister darin besteht, diesen Ausdruck zu
verstehen; schliesslich über die Herbeiziehung
von Patriotismus, Frömmigkeit etc.
Tiermaler, Marinemaler - du lieber Gott!
All diese Dinge werden falsch geboren, weil
sie sich an die Richtigkeit binden, und weil
sie sich an eine falsche Adresse wenden,
nicht an den Kunstsinn, sondern an die
Kennerschaft (von Pferden oder Schiffen),
an einschlägige Liebhabereien.
Die Frage liegt ja fast immer so: nimmt
einer ein künstlerisches oder sonstwie her-
gestelltes Interesse als Leitmotiv. Was will
er: gefallen, resp. es dem Publikum etc.
recht machen oder Künstler sein, d. h. blind
dem Erkannten folgen und dem Erkennen
weiter nachstreben. Auf was spekuliert er
mit seinem Bildwerk? Ist er Künstler oder
Affarist?
böcklin hasst die Historien- und Genre-
fritzen, weil sie sich abhängig machen, ihr
eigenes und des Publikums Interesse in allerlei
suchen, was Kostümschneider und Militärs
bestechen kann, aber zum Ausdruck der eige-
nen Bildidee nicht nur überflüssig, sondern
störend resp. abziehend sich verhalten muss,
weil sie etwas malerisch Nebensächliches zur
Hauptsache machen, Accessoirsmaler sind.
Man denke an die Düsseldorfer „Kostüm-
poesie". Wo ist sie geblieben?
Man dürfte schwerlich auf die Idee kommen,
einen Böcklin zu zerschneiden, wie z. B. einem
Knaus geschehen, um die einzelnen Hunde etc.
des Bildes als Originale einzeln zu verkaufen,
als Porträts etc., — eine Idee, die, so kunst-
händlerhaft sie auch sein mag, doch für unsere
heutige Produktion wie für die Konsumenten
gleich bezeichnend ist.
Warum es dort hell oder dunkel ist, bewegt
oder ruhig, warum der so blau, jener so rot
sein muss, wird heute bei den wenigsten
Bildern jemand sagen können. Höchstens:
das geht gut zusammen, oder: das giebt eine
eigentümlich reizvolle Stimmung, oder: das
war so, resp. das ist Vorschrift. Weiteren

Zweck (Komposition, Deutlichmachung, kurz
Ausnützung der natürlichen Kräfte der Farben)
hat der heutige Kolorismus meistens nicht.
Rechenschaftsloser (unverantwortlicher) „Ge-
schmack" an Stelle beivusster Kunst. ,On a
ce qu'on nomme du goüt et cela suffit, croit-
on . . . ." sagt Viollet-le-Duc. Auch künst-
lerischer Instinkt genügt nicht. Atelierüber-
lieferung hält ihn nicht; denn die haben wir
nicht. Also: Erfahrung und Rechnung (Be-
wusstsein).
Es hat bis auf die Pleinairisten noch kein
Mensch bestritten, dass der Maler — so gut
wie jeder andere Künstler, — durch Gegen-
sätze jeglicher Möglichkeit zu wirken hat.
Das sind seine Mittel, ist seine Sprache.
Also hat auch noch niemand bestritten, dass
der Schatten (Schlagschatten) dazu gehört,
um auf der Tafel das Licht wirksamer zu
machen. — Ja, aber die Farbenkontraste! Da
schreien alle. Auch die der ältesten Obser-
vanz. Ist denn aber das was anderes als
die Helligkeitskontraste??
* i
*
Es erfasst einen ein gelindes Grauen, wenn
man an das gewaltige Heer der heutigen
Maler denkt. Wer zu nichts anderem taugt,
wird Maler. Die affichierte Originalität dieser
Burschen ist nichts als nackte Armut. Sie
machen das, weil sie nichts zu sagen, nichts


ROBERT SCHIFF AM KAMIN
(Wiener Hagenbund)

Die Kunst für Alle XV1L

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