Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

DOI Artikel:
Schliepmann, Hans: Die Mitwirkung des Architekten bei der Innen-Dekoration
DOI Artikel:
Waldau, Otto: Die Geschichte der Innendekoration bezw. der Möbel, [2]: mit besonderer Berücksichtigung Frankreichs
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0025
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Januar-Heft,

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Seite ff.

hier kann nur ein eiserner Wille mit rücksichtslosester Grob-
heit Wandel schaffen! Vom Handwerk ist die Besserung nicht zu
erwarten, denn das hat mit der Abwehr der Schwindelkonkurrenz
in der That alle Hände voll zu thun, um nur leben zu können.
Die spekulativen Bau-Unternehmer — nun, die sind ja oft
kaum durch das Strafgesetzbuch, ge-
schweige denn durch das Ehrgefühl
zu lenken. Der bessere, für den Mittel-
stand bauende Architekt aber thut s
natürlich im Allgemeinen auch nur
so wenig wie möglich für's Geld, den
strebsamen Anfänger etwa ausge-
nommen.

So ist denn eine Besserung doch
nur durch das Publikum zu erwar-
ten, das gegen den Schlendrian Front
machen und vom Architekten mehr
als bisher verlangen muß. Gerade
in der einfacheren Ausstattung läßt
sich unendlich viel machen, sobald
man nur einmal die Schablone ver-
läßt. Ich habe ja in meinen Be-
richten aus Ehicago angedeutet, in
wie vielen Punkten der Amerikaner
uns da überlegen ist. Das Publikum
hat freilich genau die Innen-Aus-
stattung in der bürgerlichen Wohnung,
die es verdient. Es verlange,
daß der Architekt sich um Thüranstrich,

Defen, Deckenmalerei, Tapeten küm-
mere, daß er neue, einfache Schmuck-
weisen erfinde, die der Handwerker
verabscheut, weil er dabei neue Schab-
lonen anfertigen, seine Leimformen
umschmelzen, seine geliebten Farbentöpfe mit Mcker, Taput-
Mortuum und Ultramarin umkchren müßte! — Und „wer's
haben kann", der fordere auch bei besseren Innen-Dekorationen
so lange den eigenartig schaffenden Architekten auf, bis das Hand-

werk einsieht, daß mit schablonenmäßiger Stilnachbetung nichts
mehr zu verdienen ist. Erst aus der Entrüstung des Publikums
kann sich, wie überall, so auch hier, eine Besserung der bestehenden
Zustände anbahnen! — Daß aber diese Besserung nicht dadurch
erreicht werden kann, daß man etwa künftig noch mehr wie jetzt

bei den Miethsräumen eine „moderne",
womöglich „hochherrschaftliche" Aus-
stattung fordert, mit allem Wust
neuesten Ungeschmackes, ist klar. Mit
einer solchen hat, wie gezeigt, der
wirkliche „Architekt" nichts zu schaffen.
Geht der mit Lust und Liebe an die
Arbeit, so ist zu erwarten, daß er
uns allgemach aus der Schablone er-
lösen wird; Lust und Liebe aber wird
er ziemlich sicher dann gewinnen, wenn
er beim Publikum Verständniß für
sein Schaffen findet. — hier ist aller-
dings eine Schlange, die sich in den
Schwanz beißt: der Architekt, der das
Publikum erziehen soll, und das
Publikum, das des Architekten Werk
soll würdigen und damit fördern kön-
nen. Aber irgendwie muß dieser
schädliche Zirkel durchbrochen werden,
und das kann vielleicht doch allein
durch Belehrung und schneidenden
Protest gegen den Schlendrian ge-
schehen, vor Allem durch den uner-
müdlichen Hinweis darauf, daß das
Modische nie das Werthvolle sein
kann, weil ihm das Beste in aller
Kunst, die Individualität, nothwendig
fehlen muß, daß man also nicht auf
irgend einen Stil schwören soll, sondern wagen muß, einen eigenen
Geschmack zu haben — und wär's auch ein vertrackter — und
denselben auch zur Geltung zu bringen versuchen muß.

Dies ist der Uebergang zur Regierung Ludwig XV. Die
Möbel sind der Spiegel der Sitten und der Gesellschaft. Ernst
und großartig während der Regierung des „Xoi-Loleil", des
„Königs Sonne", werden sie kokett und weibisch unter Ludwig XV.
Blumen, Laubwerk, Guirlanden und Liebesszenen folgen auf die
eingelegte Arbeit. Man sucht die Bequemlichkeit und die Grazie.
Die Stühle verbreitern sich; die Füße sind verschroben, die Rollen
überreich, die Schnitzereien verschlungen bis ins Unendliche. Das
ist das Jahrhundert der reinsten Fantasie. Der Stil des Mobiliars
gibt den Geist der Zeit auf das Genaueste wieder, diesen reizenden
skeptischen Geist der Marquisen, der Kavaliere und Hof-Abbees.

Bisher hatte man nur die Holzschnitzereien gekannt, Guir-
landen, Blumen, Laub und Fantasieblumen zur Einrahmung der
Amoretten, Ehimären, Drachen und Schlangen verwendet, die mit
großer Aunst gearbeitet, vergoldet oder in zarten Farben gemalt
waren. Wir langen nunmehr bei den Bronze-Verzierungen an,
die jetzt außerordentlich in Schwung kamen. Schon unter Lud-
wig XIV. tauchte die Mode der ziselirten Bronze-Arbeiten auf,
aber erst in der zweiten Hälfte des s8. Jahrhunderts erreichte sie
ihren Höhepunkt.

Noch einige Jahre fuhr man fort mit dem Liniengewirr und
mischte gerade und krumme, indem man jene seltsam-bizarren
Möbel schuf, von denen gleichwohl einige unter die Meisterwerke
der Grazie und Eleganz gehören. Es genüge, einer Kommode
von PH. Taffierie Erwähnung zu thun, die im Besitze von Sir
Rich. Wallace gewesen, ein Roll-Sekretär mit gewölbter Schublade,

welche eine reiche Metallarbeit von nieisterhaster Ausführung ziert.
— Erst am Ende der Regierung Ludwig's XV. arbeitete man
dem übertriebenen Geschmacks des Rokoko-Stiles, dank dem Ein-
flüsse der Madame de Pompadour, entgegen und kehrte zum
Studium des Antiken und der alten französischen Meister wieder
zurück. Aus dieser Reaktion ging der Stil Ludwig's XVI. hervor.

Während dessen Regierung wandte man sich den Formen der
griechischen Aunst wieder zu. Man suchte vor Allem nach Zier-
lichkeit und Anmuth. Wir verlassen jetzt die verworrenen und
verschrobenen Schaltengebilde der vorhergehenden Schule, um zu
einer ruhigeren und angenehmeren Mode überzugehen. Die Aunst-
tischler verwenden mehr Sorgfalt aus die Konstruktion der Möbel,
wenn auch die Schlosserei noch sehr in den Kinderschuhen steckt.
Die Möbel werden innerlich mehr ausgearbeitet. Man sucht
weniger äußeren Effekt bei der Ausschmückung der Wohnungen
durch dieselben hervorzubringen, was unter den vorangcgangcncn
Regierungen für den Handwerker das leitende Motiv war, sondern
beschäftigte sich mehr mit dem bisher zu sehr vernachlässigten
Inneren. Die Aunst des Einlegens vervollkommnet sich. Die
Möbel werden mit Guirlanden, Blumen, Bouquets und Vasen
in vergoldeter Bronze geschmückt, in den Rosenholz-Brettchen bringt
man Porzellan-Medaillons an.

Von den Künstlern, die zu diesen Neuerungen besonders bei-
trugen, sei der königliche Kunsttischler Ioubert und David Roentgen
von Neuwied erwähnt, der sich „mechanischer Kunsttischler",
„Kunstmechaniker" der Königin nannte. Fortsetzung folg»,)
 
Annotationen