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Kunstgewerbliche Rundschau: Verkündigungsblatt des Verbandes Deutscher Kunstgewerbevereine — 3.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8033#0026
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Nicht für jede Schule dürfte es angemessen sein, genau das vor-
gehen der Straßburger zu coxiren. Ls kommt darauf an, wie die
Runstindustrie der betreffenden Stadt beschaffen ist, sodann, welche Lehr-
kräfte eine Schule besitzt, wie viel die Schüler von denselben an schöxfe-
rischen Inixulsen emxfangen und welchen tektonischen ksalt sie an ihnen
haben.

Der kritische Artikel zieht den Schluß, daß das geometrische, xer-
sxectivische und architektonische Zeichnen an der Straßburger Schule zu
Gunsten des Naturstudiums vernachlässigt werde, da die Ausstellung
in diesen Fächern etwas mager ausgefallen sei. Dieser Schluß ist aber
nicht richtig, da durch alle Rlassen diesen Fächern fast genau dieselbe
Stundenzahl zugewiesen ist, wie an anderen Schulen.

wenn ferner die Apxlicirung der aus dem Naturstudium ge-
wonnenen Formen und Nkotive auf die verschiedenen Techniken noch
gewisse Lücken zeigte, so sind die letzteren nicht dem System zuzuschrei-
ben, sondern dem Umstande, daß die Straßburger Schule Nangels an
Nitteln noch unvollständig ist, daß ihr auf mehreren Gebieten die
Fachschulen noch abgehen.

Der kritische Artikel erweckt den Anschein, als würde in Straß-
burg ohne Rücksicht auf die Verschiedenartigkeit der kunstgewerblichen
Fächer jeder Schüler gleicherweise zu einem eingehenden Naturstudium
angehalten. Dies ist aber keineswegs der Fall. Die Behandlung ist
eine individuelle. Zu der geäußerten Befürchtung, daß den Tischlern
zugemuthet werde, ohne Renntniß bisheriger Möbelformen einfach auf
Grund ihrer Pslanzenstudien Möbel aufzubauen, ist also keine Ursache
vorhanden.

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wenden wir uns nun zur Frage des Anschlusses unseres
Aunstgewerbes an die moderne Richtung. Niemand wird
leugnen, daß sich unser deutsches Kunstgewerbe an der Uunst unserer
väter wieder aufgerichtet hat; aber leider ist auch nicht in Abrede zu
stellen, daß deni begeisterten Anlauf ein genügsames, mattes weiter-
zotteln im nämlichen Geleise gefolgt ist. In einigen Gebieten ist sogar
von einer Stagnation zu sxrechen. Die Verkäufer der Magazine und
die Exxorteure sagen uns, daß das Publikum, das inländische, wie
das ausländische, die ewige Tractirung gewisser alter Motive satt be<
kommen hat. Die Sachen werden nicht mehr verkaust, moderne, fremde
waare dringt herein und wird vorgezogen (gegenwärtig namentlich
englische), und unser Lxport (der NLnchener sxeciell) geht auf ver-
schiedenen Gebieten zurück. Unsere Runstindustriellen
wollen leben und werden sich also wohl oder übel
der Syxmxathie des Publikums sür den modernen
Geschmack allmählich anbequemen; auch jene werden
nicht umhin können, welche die Befürchtung haben,
für eine gediegene, auf solider Basis stehende, wenn
auch alterthümlich angehauchte Aunst den stillosen
Flitter der modernen Ukoden einzutauschen.

Steht es denn aber so schlimm um diese mo-
derne Richtung, ist sie denn so unzweifelhaft der weg
zum verderben? Ist sie überhauxt nur die Folge
einerMode, einerLaune? Ist es nothwendig, ihr gegen-
über, wenigstens in den Schulen, sich zu verschanzen,
um das errungene Stilgesühl und die angeeignete
künstlerische Fertigkeit hinüberzuretten bis dahin,
wann sie ihr ephemeres Leben beendigt haben wird?

Die in schneller Folge auftauchenden exoche-
machenden neuen Entdeckungen und Lrfindungen, so-
wie die bedeutenden xolitischen veränderungen haben
im verlauf von etwa zo Iahren eine so große Um-
gestaltung unseres Lebens und unserer Anschauungen
bewirkt, daß wir uns sagen müssen: wir sind in
ein neues Zeitalter eingetreten. Der mächtige
Umschwung zeigt stch auch im Sxiegel des Lebens,
in der Runst. Am frühesten kündigte er sich an in
der beweglichsten der Aünste, in jener, die in unserer
Zeit die Führung hat, in der Ukalerei. Die Frei-
lichtmalerei, der Imxressionismus, auch zuerst hart
befehdet, heute triumxhiren sie. Die Bildhauerei, die
Architektur sind gesolgt. Auch die letztere, soviel sie
von der Aunst der väter gelernt hat, modernisirt stch
immer mehr, nicht im schlechten Sinne des wortes,
sondern in jenem, daß sie, unbekümmert um irgend
einen historischen Aanon, werke hervorbringt, die
unseren Bedürsnissen entsxrechen und unserer Ieit-
stimmung zusagen.

Und da sollte das Runstgewerbe allein zurück-
bleiben können? In diesen modernen, flotten, lufti-
gen, hellen Gebäuden sollte es seine alterthümelnden
Tapeten und Plafondmalereien anbringen und sie mit
einem ksausrath in einer aufgefrischten alten Stilart
erfüllen wollen?

(Der Liebhaberei sür Alterthümer will ich ihre
Freuden nicht rauben, mag sie sich Genüge thun,
aber sie soll sich einer modernen Lntwickelung des
Runstgewerbes nicht entgegen stemmen.)

Liegt denn nicht schon ein Fingerzeig darin, daß unser Runst-
gewerbe gar nicht in der Richtung der alten deutschen Frührenaissance
verblieben ist, auch nicht beim Barockstil? Das Gros der kunstgewerb-
lichen Armee ist ja längst in die heiteren Gefilde des Rococo eingerückt.
Der malerische Iug und das helle Lolorit dieser Stilweise sind Ligen-
schaften, welche mit der modernen Lmpfindung harmoniren.

Nun geht aber das Streben bereits wieder aus dem Rococo
heraus. Nicht das stilistisch unzulängliche Louis XVI., nicht die Nach-
betung des eigenartig erwachsenen modernen englischen Aunstgewerbes
kann unser Ziel sein. wir müssen darauf denken, unserem eigenen
modernen Bewußtsein selbst eine Sxrache zu geben. Mohin, nachdem
sie alle Stilarten nachahmend durchwandert, sollte sich unsere decoraiive
Aunst anders wenden, als zu jenem Urquell, aus dem alle ächte Aunst
hervorgekommen ist, als zur Natur selbst?


39. Plakat-Lntwurf von Nlaler Max Feldbauer und Tiseleur Aarl Groß, München.

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