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Dengler, Georg [Hrsg.]
Kirchenschmuck: Sammlung von Vorlagen für kirchliche Stickereien, Holz- & Metallarbeiten & Glasmalereien — N.F. 4.1888/​95

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Nachrichten über Stickereien und Stickerinen im Mittelalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.26639#0006
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Nr. 19

Nachrichten über Stickereien und Stickeriuen im Mittelnlter.

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Entwickelung der Stickerei nuf englischem Boden weiter durchforscht,
zwei Namen von ausgezeichneten Stickerinen, welche das damals hoch-
berühmte und vielgesuchte oxv8 unglioum (unter dem englischen oder
auch irischen Werke verstand man im Mittelalter die Verbindung der
Goldschmiedekunst mit der Stickerei) mit großer technischer Fertigkeit
handhabten. Die eine derselben hicß Alwid, welche zu Ashley, in
der Grafschaft Buckingham, eine Besitzung hatte. Diesem ihrem Be-
sitzthume fügte der Graf Godrich eine halbe Hide Landes hinzu, unter
der Bedingung, daß sie seine Tochter in der Kunststickerei unterrichte.
Der anderen berühmten Stickerin, Lewide mit Namen, geschieht nicht
viel später in dem Domesday-Book Erwähnung, welche die kunstreich
und kostbar gestickten Ornate für den König irnd die Königin anfertigte.

Zieht man ferner hier in Frage, wie im früheren Mittelalter
auf fränkischem Boden die Stickkunst für kirchliche Zwecke von hoch-
stehenden Frauen und Jungfrauen geübt wurde, so begegnete uns
bereits im siebenten Jahrhunderte zu Vourges in Frankreich eine
Abtissin, nämlich die hl. Eustadiola, deren Lieblingsbeschäftigung darin
bestand, die kirchlichen Gewänder und die Ornate des Altares aufs
reichste durch Nadelwirkerei zu verzieren, deßgleichen sigurenreiche
Teppichwirkereien für die Wandflächen der Kirche anzufertigen. Jm
achten Jahrhunderte zeichneten sich in dem belgischen Kloster Valencina
zwei Schwestern aus, die nacheinander der Abtei vorstanden, durch die
große Kunstfertigkeit und Tüchtigkeit, die sie in Ausführung jeglicher
Technik der künstlichen Handstickerei sich zu eigen gemacht hatten. Wie
uns ein Anonymus des neunten Jahrhunderts berichtet, sah man zu
seiner Zeit in der ebengedachten Abtei verschiedene Altarvorhänge und
andere Ornate, die in Goldperlen und vielfarbiger Seide gestickt, die
Bilder vieler Heiligen veranschaulichten. Eines großen Ruhmes als
Kunststickerin erfreute sich auch die Königin AdhNais, die Gemahlin
Hugo Capets, welche unter anderen reichen Stickereien für die Kirche
des hl. Martin zu Tours ein prachtvolles Meßgewand anfertigte. Auf
der hinteren Seite sah man in Goldfäden auf Purpurstoff die
NasöstaL Oomiui gestickt, nämlich: Gott den Vater auf dem Bogen
des Himmels, umgeben von Cherubim uud Seraphim. Auf der
vorderen Seite hiugegen erblickte man, ebenfalls in-Goldfäden ge-
arbeitet, das Lamm Gottes, umgeben von den vier symbolischen Thier-
zeichen der Evangelisteu. Dieselbe königliche Stickerin verehrte der
Benediktiner-Abtei St. Denis bei Paris ein reich gesticktes Meßgewand
von ausgezeichneter Arbeit, deßgleichen eiuen andcren, nicht weniger
kostbaren Ornat, auf welchem nach den Berichten des Monches 'Helgald
der Erdkreis (orliis tsrraruiu) kunstreich gestickt war. Dieselbe Abtei-
kirche besaß bereits ein älteres Meßgewand mit reichen Stickereien
geschmückt, das als Geschenk von Karl dem Kahlen herrührte und das
ebenfalls in vielen gestickten Darstellungen den Erdkreis versinnbild-
lichte, d. h. die verschiedenen Sternbilder und allegorischen Thierzeichen,
mie sie heute noch auf dem berühinten Kaisermantel Heinrich des
Heiligen im Schatze zu Bamberg als ordis tsrrarum sich vorsinden.

Zu den ansgezeichneten Leistungen der religiösen Bildstickerei aus

dem Beginne des elften Jahrhunderts gehört osfenbar der berühmte
ungarische Krönungsmantet, welcher, der deutlich in Gold gestickten
Jnschrift zufolge, im Jahre 1033 von der Hand der Königin Gisela,
der Gemahlin König Stephan's des Heiligen von llngarn und der
Schwester Heinrich's II., aufs prachtvollste gestickt worden ist. Obschon
dieser merkivürdige Kröiiungsmantel, der ehemals ein geschlossenes,
i faltenreiches Meßgewand bildete, durch die jüngste Versenkung der
Reichskleinodien in den Sumpf bei Orsoy an der türkischen Grenze
von Seiten Kossuth's und seiner Genossen so bedeutend beschädigt
worden ist, daß er unmöglich bei einer späteren Krönung mehr zur
Anwendung kommen kann, so ist es uns doch gelungen, von geschickten
Zeichnern unterstützt, eine genaue Durchpause der gestickten Figuren
in natürlicher Größe aufnehmen zu können, wodurch erhellt, daß auf
diesem altehrwürdigen Gewande die Künigin Gisela die figurenreiche
Darstellung des II>i und IIl>i eigenhändig gestickt hatte. Man erblickt
nämlich, wenn auch üußerst entstellt und beschädigt, auf denr ungarischen
Krönungsmantel den Heiland als Sieger über Tod und Hölle, sitzend
auf dem Bogen des Himmels und umgeben von den Chören der Engel
und Heiligen. Auch die Propheten des alten Bundes, deßgleichen
die unter Thronen sitzenden Bildwerke der zwölf Apostel, sämmtlich
in orientalischen Goldfäden meisterhaft auf byzantinischen Purpurstoff
gestickt, umgeben den Herrn, der in seiner Herrlichkeit von den seligen
Himmelsbemohnern umstellt, jenes ewige Jerusalem, das vl>i, ver-
anschaulichen soll. Jm Gegensatze zu vbi, dem himmlischen Jenseits,
hat die königliche Stickerin an der ehemaligen Kasel von Stuhlweissen-
burg und zwar in dem untersten, breiten Saume das Dießseits, das
Ibi, in Goldstickerei bildlich wiedergegeben, indem hier die Heerführer
der Ungarn, sowie die Porträts der königlichen Geschenkgeber in großen
Medaillons gestickt stnd.

Aehnliche Meßgewänder mit der gestickten Darstellung der streiten-
den Kirche hier und der triumphirenden dort oben (Ibi und Hbi)
finden sich im zehnten und elften Jahrhunderte bei älteren Chronisten
als königliche und sürstliche Geschenke an verschiedenen Kirchen häufig
erwähnt.

Ferner liest man in der Chronik der Abtei St. Gallen, daß
Richlin, die Schwester des Abtes Hartmod, ein prachtvolles gesticktes
Velum angefertigt habe, das in der Fastenzeit als sogenanntes Hunger-
tuch (palliiivi gaaärag68iiv3,1s) zur Verdeckung des Chores am Ein-
gange desselben aufgehängt wurde. Jn nicht viel, spüterer Zeit ragt
unter den Gönnerinen der Abtei von St. Gallen auch die Tochter
des Herzogs von Schwaben, Hedwig mit Namen, hervor, die der ge-
dachten Abtei mehrere Meßgewänder und verschiedene andere Altar-
Ornate schenkte, die sie mit eigener Hand kunstvoll gestickt hatte.

Besonders merkwürdig war eine Albe, die diese fürstliche Stickerin
derselben Abteikirche zum Geschenke verehrte. Man ersah nämlich,
wie das der St. Galler Mönch Ekkehard ausführlich berichtet, auf
dem breiten Saume dieses prachtvollen Gewandes in großem Figuren-
reichthume eine allegorisch - mythologische Darstellung, nämlich: die

Hochzeit der Philologie. Auch schenkte sie dcr früher gedachten Abtei ^
zwei Diakonengewänder, nämlich eine Dalmatik nebst der Tunicella,
die überreich in Gold gestickt waren. Als jedoch, wie unser Gewährs-
mann Ekkehard dieß anführt, der damalige Abt sich weigerte, auf den
Wunsch der Prinzessin ein Antiphonarium abzugeben, zog die launige
Fürstin die beidcn letztgedachten Ornate wieder zurück. Aber nicht
nur in Jtalien, Frankreich, Deutschland und den angelsächsischen
Königreichen bildete die religiöse Stickkunst eine bevorzugte Lieblings-
beschäftigung der Frauen und Jungfrauen der höchsten Stände, son-
dern anch sogar in Dänemark und dem skandinavischen Norden ver-
schaffte sie sich Eingang und wurde von den Töchtern der nordischen
Könige zum Schmucke der Altäre und zur Zierde der Kirchen mit
großer Hingabe in Pflege genommen. Unter den vielen geschichtlichen
Angaben, die wir zum Belege des eben Gesagten hier beibringen
könnten, verweisen wir blos auf die beiden kunstgeübten Königstöchter
des Dänen Lodbrog, die unter anderen Stickereien das berühmte alt-
dänische Kriegsbanner, den Reafan, angefertigt hatten. Diese beiden
Schwestern, Hunguar und Habba, werden in der Kunst der Stickerei
von zwei anderen nordischen Königstöchtern, Freya und Od, noch.
übertroffen, deren Namen in Skandinavien für kostbare Stickarbeiten
und Schmucksachen sprüchwörtlich wurden.

Hatte die Stickepei zur Verherrlichung des Kultus bereits im
zehnten und elften Jahrhunderte als bevorzugte Lieblingsbeschäftigung
sowohl auf Burgen und Schlössern, als auch in bürgerlichen Kreisen
bedeutende Fortschritte gemacht, so gelangte dieselbe besonders im
zwölften und dreizehnten Jahrhunderte zu einer Höhe der technischen
und kompositorischen Entwicklung, die heute noch, den aus dieser Zeit
erhaltenen Ueberresten zufolge, unsere gerechte Bewunderung erregt.

Zum Belege des eben Gesagten verweisen wir auf die Gedichte und
Gesänge der proven?alischen Troubadours und die gleichzeitigen Poesien
der altdeutschen Meister- und Minnesänger, die fast auf jeder Seite
rühmend das treffliche Nadelwerk ihrer Heldinen hervorheben. Welchen
hohen künstlerischen Werth diese Stickereien des zwölften und drei-
zehnten Jahrhunderts beanspruchen, ergibt sich zur Genüge bei auf-
merksamer Besichtigung der theilweise noch gut erhaltenen Ornate aus
der eben gedachten Epoche in der reich gefüllten Cither des Domes
zu Halberstadt, in der Marktkirche zu Braunschweig, in der Sakristei
der Liebfrauenkirche zu Danzig und der Kalandsbrüder zu Stralsund.

Gleichwie der berühmte Teppich zu Bayeux, ein Werk der Königin
Mathilde, der Gemahlin des Normannen Wilhelm des Eroberers,
hente noch als ein Meisterwerk der höheren Stickkunst gilt, so ver-
dient dieser letztgedachten, großartigen Leistung auf deutschem Boden
jenes ausgezeichnete Teppichwerk der Abtissin Agnes in dem Cither
der ehemaligen Stiftskirche von Quedlinburg entgegengestellt zu werden. d

Auch in der Umgebung der ehemaligen Abtei Gandersheim sollen
noch bedeutende Ueberreste von Teppichwirkereien sich erhalten haben, R
die von der Hand der auch als Dichterin berühmten Abtissin Hros- Älii
witha herrühren. (Fortsetzung folgt.)
 
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