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Dengler, Georg [Hrsg.]
Kirchenschmuck: Sammlung von Vorlagen für kirchliche Stickereien, Holz- & Metallarbeiten & Glasmalereien — N.F. 4.1888/​95

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https://doi.org/10.11588/diglit.26639#0042
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haftm Erinnerung wegen, ein starkes Vorurtheil
herrschte. Vielleicht ein Jahr lang wohnte er mit
seiner Familie im Sühnehaus, bis andere Familicn
und Geschäfte sich entschlossen, in das große
Stiftungshaus Eiuzug zu halteu. Jn der letzteu
Zeit dürfteu die zahlreichen Räume völlig bewohnt
gewesen seiu; doch wird hcute versichert, daß der
Dombaumcister der Erste sei, welcher im Sühne-
hause gestorben ist.

Die letzten Lebeusjahre waren überreich an
Ehren, an Arbcit und Ruhm. Er erlebte die
Volleudung und festliche Einweihung seiues Haupt-
banwerkes, des Rathhauses, welches von deu aus-
ländischen Bauleuten als das schöuste Stadthaus
der Welt erklärt wordeu war. Er empfing noch
einmal Ehrungeu von dcr Stadt Mailaud, in
welcher er als Lehrer und Baukünstler gewirkt,
und unter ueuen Verhältuissen mußte er seineu
vielbetrauerten Mailänder Dom wiedersehen. Auch
bei dem Entscheidungsspruche über die Restaurirung
der FaMde des Florentiner Domes war das Wvrt
und Urtheil des deutschen Meisters ausschlaggcbend
gewesen. Aus sciner eigeutlichen Heimath, aus
dem Schwabeulande, nnd von seinem geliebteu
Rheinstrome, kam nur ehrende und erfreueude Kunde
zu ihm, uud er konnte sich der zahlreichen Auf-
träge kaum erwehren. Wo immer in deutschen
Landen ein altehrwürdiges gothisches Banwerk
restaurirt oder ein neues Bürgerhaus geschaffen
werden sollte, da wurde an den Rath und an daS
Urtheil des Dombaumeisters Schmidt appellirt.
Aber auch das Ausland, besouders England und
Amerika, wandteu sich mit ihren Wünschen und
ihren Bestrebuugen an ihn. Fürwahr, mit dem
Manne wurde zugleich die Stadt geehrt, die ihn
als ihren ausgezeichnetsten Bürger anerkannte uud
zu ihrem Ehrenbürger gemacht hatte.

Schmidt war eine universelle Natur. Er war
Architekt durch uud durch; aber er war es als
Künstler, uud seine Kunst war herausgewachsen
aus genialer Anlage und einer umfassendcn Kenntniß
und Bilduug. Wenu er im Leben Wandlungen
durchgemacht hat, dann ist es nur, weil er seiu
Wissen und seine Erfahrungen bereicherte uud ver-
tiefte. Jn einem Vortrage trat er vor Jahren der

verbreiteten Meinung eutgegeu, daß er nnr Gothiker
sei. Mit ciuer bewunderungswürdigen Klarheit
uud Faßlichkeit eutwickelte er die Geschichte der
Baukunst, wie wir es von einem Katheder-Professor
nie vernommeu, erklärte das „gothische Zwischen-
glied" aus seinen Vorläuferu heraus und zeigte
jene Wandlungen auf, wclche der Gothik bevor-
stehen, und welche er am neueu Rathhause zu Wien
in das Lebeu zu rufen trachtete. Als Vortragender
und als Redner suchte er seines Gleichen.

Es nimmt nicht Wunder, daß ein Manu, wie
Schmidt, der so viele Gotteshäuser für Katholiken
schuf, schon in früher Zeit sich der katholischen
Lehrc selbst zuwandte, die alleiu seiuem religiösen
Bedürfuisse Befriedigung gewähren konnte. So
hat er, der Sohn des pr otestan tischen Pastors,
den größten Theil seiner Lebeuszeit als Kath olik
gelebt, Werke kirchlicher Kunst für katholische Zwecke
gcschaffen und ist auch als treuer Sohn der katho-
lischen Kirche gestvrbeu.

Dombaumeister Schmidt erlag einem schweren
Magcnleidcn, dessen unabwcndbarc Folgen sich erst
in den letzten Wocheu schmerzlich geltend machteu;
sein Todeskampf war indeß kein hefliger, und sanft
schied er aus dem Leben. Er war bis in die letzte
Zeit bei uugetrübtem Bewußtsein, und als er sein
Ende uahen sah, nahm er ergreifendeu Abschied von
seiueu Augehörigen und bat den ani Krankenbette
weilendcn Propst Or. Marschall, für sein Heil zu
beteu. Am 22. Zauuar ds. Js. Abends war die
Schwäche so groß, daß man die Hoffnung aufgeben
mußte, der Meister werde den Morgen noch erleben.
Jn vollkommener Apathie lag der Kranke schon vor
Mitternacht, und drei Stunden später war er ent-
schlummert. Zwei leise Seufzer bezeichneten die
letzte Regung des eutfliehenden Lebcns.

Welch' ein großes und schöneS Leben hat der
Mann ausgefüllt! Und er war im Grunde seiues
Wesens ein bescheideuer und frommer Manu; er
staud uuter seines Gleicheu immer wie eiu Herrscher,
aber sie liebten ihn wie ihren Bruder, denn sie
wußten, daß er die Befähiguug eines Jeden gelten
ließ, ob mit dem Stifte oder mit der Feder, wenn
es nur ächte Befähigung war.

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