Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kissling, Hermann
Die Kirche in Täferrot: [Ostalbkreis] — Täferrot, 1984

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7441#0054
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
schnitt des sogenannten Boccacio-Meisters (Ulm 1473) einen Mann, der in
der gleichen Weise beredt gestikuliert wie die Dorsalfigur 2 in Täferrot. Das
will nicht viel besagen, doch im Blick aufs Ganze sehen wir eine deutliche
Verbindung zwischen den Ulmer Holzschnitten der Vor-Dürerzeit und dem
Stil der Kerbschnittbilder in Täferrot.

Anläßlich der Kirchenrenovierung in den achtziger Jahren des 17. Jahrhun-
derts ist das Gestühl erweitert und bis auf die Dorsalbilder völlig übermalt
worden. Reizvoll ist allein schon ihre Farbenkombination. Größere Flächen
sind in Eierschalenfarbe, andere wie Wangenhölzer und Trennleisten der
Dorsale in Ocker grundiert worden. Dazu kam als belebendes Element ein
Rotbraun. Dieser rote Ton, der einem Indischrot ähnelt, hat Anteil an der
Marmorierung der Wangen. Er zeichnet an den Rückwänden Rauten mit
Blütenrosetten, auch Blattranken, die beim Hochklappen der Sitze sichtbar
werden. Und jetzt sieht man an der unteren Rückwand Früchtegehänge mit
Äpfeln, Birnen, Trauben, wobei neben Ocker und Rot noch Grün verwendet
ist, eine Farbe, die auch an den Wangen Anwendung fand, die eine Blatt-
ranke mit Blüten ziert.

Dies alles kann man sich handwerklich kaum besser ausgeführt vorstellen.
Die Malerei ist flüssig, die Formen sitzen prägnant, präzise modellieren
Formstriche die Früchte. Aber gerade hier fällt auch die routiniert formel-
hafte Handschrift auf, mit der diese plastische Erscheinung erreicht ist. Und
damit stellen sich Zweifel ein, ob die Malerei von 1683 identisch ist mit der
jetzigen. Denn auffallen muß, daß der 1906 neu geschaffene Viersitz nicht
nur in seiner Gestalt, sondern auch seiner Malerei dem alten Gestühl völlig
gleicht, bis in den Duktus der Einzelheiten hinein. Demnach wurde in Stutt-
gart das Gestühl nach den heutigen Maximen nicht restauriert, sondern über-
malt. Hierbei hat man bei den Dorsalbildern, die ursprünglich wie kolorierte
Holzschnitte nur flächig getönt waren, zuviel getan. Das erzeugt den Wider-
spruch zwischen der Konturierung und der realistischen Binnenmodel-
lierung. Wieviel Freiheiten sich der Maler von 1906, der ein Könner seines
Faches war, genommen hat, ist an einem Motiv nachprüfbar. Es blieb nämlich
die linke Seitenwange des Stuhles 22 im alten Zustand erhalten (in der jetzi-
gen Aufstellung verdeckt). Da sieht man eine stark abgeriebene Malerei, an
die, das sei anerkannt, der Hofdekorationsmaler sich in Farbe und Form ge-
halten hat — abgesehen von der eleganten Leichtigkeit, mit der dieser Kunst-
handwerker den Pinsel geführt hat. Man zollt ihm Respekt, aber ganz gewiß
nicht weniger jenem Maler von 1683, der mit seiner fabulierend dekorieren-
den Kunst dem damals veralteten Gestühl gleichsam ein neues Kleid über-
geworfen hat. Diese Schöpfung hat solche Zustimmung gefunden, daß keine
nachfolgende Zeit trotz anderen Geschmacks und anderer Stile daran gerührt
hat. Die Renovierung von 1906 war ein weiterer Akt der Anerkennung
dieser Leistung des anonymen Barockmalers.

50
 
Annotationen