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darmenmarkt sich durch die französische Straße rechts wendet,
und die Mohrenstraße links liegen läßt und durch einige Krüm-
mungen der F rieb ri ch S stra ß e bis ungefähr 1000 Schritte nordöstlich
vom Hallesckcn Thvre vordringt, bietet sich dem aufmerksamen Beobachter ein
dunklesGebäude dar, dem die Spuren der Vergangenheit eigcnthümlich
aufgcdrückt zu sein scheinen.
Wir steigen in das Erdgeschoß dieses Hauses.
An der Thür eines nicht zu großen KcllcrbalseS erblicken wir ein derbes
Gesicht mit röthlichcr Nase und zugezwickten Augen. Die Stirn
allein trägt den unverkennbaren Stempel deö Herrschers.
In seiner linken Hand hält er ein Butterbrodt mit sogenannten
Dchweinegrieven. Seine Rechte umfaßt ein mit einfachem
K u t s ch e r k ü m in e l gefülltes Kelchglas.
Dieser Mann ist der Wirth des Kellers.
Dieser Mann ist kein anderer als der Ur—Ur—Ur —Ur —Ur—Ur —
Urenkel von Heinrich dem Vierten und Margarethe von
DaloiS.
Dieser Mann ist Wilhelm Heinrich Schnitze — einzig recht-
mäßiger König von Frankreich und Navarra!


III.
Man soll nichl sagen waS -ine Sache ist.
v. Radowiy.
Es war im August des Jahres 1850. Wiesbaden glich dem Hofe Ver-
sailles unter Louis XIV. Was Frankreich durch die Stürme dreier Revolutio-
nen an altadligem, unverfälschtem Blute aufzubcwabrcn gewußt, tummelte sich
in den Marken und Parken des deutschen Badeortes.
In diesem Augenblick trat der Graf von Chambord zur Cour in die von
den zukünftigen Großen seines Reiches erfüllten Säle.
Die Pastoral-Hvmne Heinrich des I V. erscholl auS den improvisirlcn Blech-
Instrumenten einer böhmischen Hof-Capelle.
Jetzt beugte Alles seine Knie.

Da erscholl ein fürchterliches „Halt!" an den Wänden deS mit 16 8u-
dewigen gezierten CorridorS.
Wenn eSRecht undGe.
rcchtigkeit giebt.so kniet vor
mir — nicht vor Jenem! —
rief der Eintretende.
Wer bist Du? donnerte hoch
glühenden Antlitzes der Graf von
Chambord.
Ich bin es — rief der Einge-
tretene, denn er war eS wirklich —
WilhelmHeinrich Schnitze,
König von Frankreich und Na-
varra.
Da erbleichte der Gras!
Denn das Gchcimniß vonMar -
garethe von Valois hatte sich
von Geschlecht zu Geschlecht sortge,
erbt, und der nun erschienene Mo-
ment war seit Jahrhunderten gefürchtet worden.
Starren und Staunen bemächtigte sich der an ihren Stuhllehnen gefesselten
Grafen, Ritter und Barone. Einzelne spielten verlegen an dem Moiröe-Bande
des Oordon lle In croix de 8t. lwnis.
Der Oomle de ölontmoreuox war der Erste, der sich ermannte.
Wo ist Ihre Paßkarte? — schrie er Schnitzen zu.
Da erbleichte Schultzc.
Wo ist Ihre Paßkarte? — tönte es jetzt von allen Seiten.
Seigneurs — sagte jetzt Sc. Majestät in französischer Sprache
— Ich besitze keine — man hat mir in Berlin keine geben
wollen.
„Und warum nicht?" - rief jetzt mit fast vor Wuth erstickter Stimme
der >l»rquis de Crenodle.
„„Die Polizei fragt- mich nach
Ziel und Zweck meiner Reise — ver-
setzte rubig der König. Ich sagte:
Deutschland zu meinem
Vergnügen! Der Constabler aber
meinte, ick sei ein frecher Lügner, da
Niemand mehr in Deutschland
zu seinem Vergnügen reisen
könne. Die Paßkarle wurde mir ver.
weigert, nun stehe ich denn hier ebne
jede Legitimation.
Bei diesen Worten wurde er
von den Lcgitimistcu zur Thüre
hinausgcworscn.'
Nie ha t man wieder et-
waS von ibm gehört!!!-

Mora l.
Edel sei der Mensch, hülfreich und gut gegen Seines
Gleichen - auch wenn er,,Schnitze" heißt. Denn die Wege
deS Schicksals sind dunkel, und der Nebenmcusch, dem du
heut mit vier Groschen nnter die Arme greifst, kann dir
vielleicht schon morgen als König von Frankreich manche
Gefälligkeit erweisen. —



Briefkasten.
Stralauerstraße. Ihr freundliches 6 itissime ^V.d ...e Frau und d. U. K .. . sowie die schöneWilhelmine betreffend,
wird die beste Berücksichtigung sinden; eine Broschüc wäre wobl das Passendste. — St. in Dresden: Besten Dank. Wir werden, sobald wir die
PortraitS haben, daö Bild in einer der nächsten Nummern bringen. — An unfern „Frcunv": Gleichfalls vielen Dank. —An Louis N a p.: AuSgepfiffcni
Besser lernen, alter Sohn! — Herrn Cobden— I>ip! liip! hjp! —
Verantwortlicher Rcdacieur: E. Dohm — Verlag von A. Hofmann L Comp: in Berlin, Unterwafferstr. I. — Druck von I. Draeger i» Berlin.
 
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