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Kladderadatsch: Humoristisch-satyrisches Wochenblatt — 19.1866

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Hefte 55-60, Dezember 1866
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https://doi.org/10.11588/diglit.2248#0220
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218

N§>Ieuilleton.^)


Suum cuique!
»Lästig wird mir und zu theuer
Meiner hohen Stellung Bürde;
Hol' der Fuchs und hol' der Geier
Meine Prätendenlenwürte!
Wo der Preuße sitzt, da bleibt er,
Was der Preuße kriegt, behält er;
Kühler auch und wohlbeleibter
Wird der Mensch — der Mensch wird älter.
Gibt mir Preußen auf die Reise
Hunderttausend Thaler, will ich
Ganz mich trollen; ausnahmsweise
Stell ich meine Ford'rung billig." —
Also spricht zum Ernst der Friedrich;
Jener anerkennt als sactisch,
Daß der Preis im Ganzen niedrig
Und der ganze Vorschlag praktisch.
Anders ich! — Wenn auch der Kühne
Hat bewährt mit großem Glan; sich,
Scheint mir dennoch, er verdiene
Allerhöchstes — Fünfundzwanzig.
Fünfundzwanzig baare, rotte.
Daß man fröhlich Beifall klatsche!
Und damit sei seine Rolle
Ausgespielt — im Kladderad ätsche.

Die Lage.
Extract-Artilel aus den Blättern der letzten Woche.
TrübeS Schlackenwetter und allgemeine Verschnupftbeit bilden die Haupt-
symptome einer Jahreszeit, in welcher die Erfindung einer drehbaren Plakat-
säule als rettende Thal und ein irgendwo am Stammtisch erzählter Meidinger
als willkommener Stoff zu einem Artikel von sieben Spalten ausgesatzt werden
könnte.
Die beabsichtigte Römersahrt der Kaiserin Eugcnie dürste daher um so
mehr Beachtung verdienen, als die Petition um Erhaltung der Spielbank zu
Wiesbaden wohl kaum von Erfolg fein, und das seiner Zeit dem Grafen Bis-
marck von Eapitain SemmeS gemachte Anerbieten, den Preußen in Böhmen
mir Mannschaft und Schiffen unter die Arme zu greifen, zu keiner ernsten
Verwickelung mit unbetheiligten Großmächten mehr Veranlassung geben möchte.
Denn wenn auch Mazzini auf dem Punct steht, von dem aus er die sich
in Rom vorbereitenden Ereigniffe kommen sieht; wenn auch die Aufregung der
Katholiken in Albanien eine sehr große ist: so viel steht fest, daß trotz der
vielen freistehenden Wohnungen die Unterbringung der Jesuiten hier und da
auf Schwierigkeiten stoßen wird, um so mehr, als Austern, Hummern. Sect und
andere Volksmittel sich noch immer auf einer Höhe des Preises erhalten, die
cS als mindestens zweifelhaft erscheinen läßt, ob ein unverheiratbetcr Minister
mit dem Gehalt eines verheiratheten Postboten auch nur annähernd auskom-
men könne. _
us Hannover.
O weh! welch ein bedenklich Zeichen!
Sogar die Schaar der Treuen weicht.
Hoflieferanlen-Treue reicht
Nicht weiter, als — die Thaler reichen!

Um nicht hinter der Kölnischen Zeitung zurückzubleiben, haben auch wir
einen Special-Correspondentm in Eompiegne gewonnen. Derselbe schreibt unS:
„Gestern wäre eS beim Marchand de vin zwischen Herrn Boulanger, dem
Reitknecht des Kaisers, und Piefke, einem Diener deS Grafen Goltz, fast zu
fatalen Reibungen gekommen, wenn nicht Herr Moulin. ein Lakai der Kaiserin,
den Streit geschlichtet batte. Die Sache macht daS peinlichste Aufsehen und
gibt zu den ernstesten Bedenken Anlaß. Uebrigenö trug am Donnerstag die
Kaiserin ein blaues Kleid und nicht, wie der zur Schande Deutschlands schlecht
unterrichtete Eorrespondent der Kölnerin behauptet, ein grünes."

Pereire'S Credit raobilier wankt! Ein trostreicher Beweis, daß
sich die Massen auf keinem Gebiete mehr dupiren lasten. Unter der Regen-
schirmherrschaft LouiS Philippe'S stürzten sich die Börscnwölfe aus daS Besitz-
thum des Einzelnen; unter Louis dem En-tout-casuisten erfand Isaak
Pcreire „la democratisation du credit-, d. h. die Ausbeutung teS
ganzen Volkes, in einer Weise, daß ihm die Augen übergehen sollten.
Glücklicher Weise scheinen sie ihm aber noch zur rechten Zeit aufgcgangen
zu sein.

Der kleine Lröstcr,
cder:
Das rationelle Stäbchenspiel.
Eine Winterabend-Unterhaltung für verflossene Großen.
Es ist eine nur zu gewöhnliche Erscheinung, daß Leute, die ihrer gewohnten
Thätigkeit enttisten werden, entweder dem Drachen der Langenweile zum Opfer
fallen oder zur Plage für ibre Nebenmenschen aus allerlei böse Gedanken und
Grillen kommen. Für die Beschäftigung und Zerstreuung derartiger Personen zu
sorgen, ist die Pflicht eines jeden Ehristenmenschen. Dieser Pflicht unS er-
innernd, empfehlen wir den im Laufe dieses Sommerö verfloflenen Größen zur
Unterhaltung für die langen Winterabende daö folgende, in seiner Grundidee
von uns nicht erfundene, aber doch verbesserte und den Verhältnissen angepaßte
Stäbchenspiel.
DaS Material dazu, eine Anzahl Stäbchen von verschiedener Länge,
kann sich Jeder leicht beschaffen oder aus Schwefelbölzchen. von denen vorher
vorsichtig die Köpfchen entfernt sind, selbst fabriciren.

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S

Jtfj 3.

Wir kommen jetzt zu complicirteren Stäbchenfiguren.
Fig. 3 (20 Stäbchen) stellt die treu ergebene
Ritterschaft dar. Wie ehrenfest er dastehr. der stattliche
Vertreter des feudalen PcincipS! Die Linke auf den Schild
stützend, mit der Rechten das blanke Schwert haltend, jcheint
er mit herrlicher Ausdauer auf die siegreiche Rückkehr feines
depcffedirten Fürsten zu warten.

Schon ein einzelnes Stäbchen (Fig. 1). insofern man es als Linie, und
zwar als regierende Linie auffaßt, kann viel Erheiterung und Vergnügen
_______ gewähren. Fügt man noch ein anderes Stäbchen hinzu, so
I erhält man zwei regierende Linien (ältere und jüngere),
die man entweder neben einander herlausen lasten oder durch
Heirath, Erbschaft oder gar Depostedirung beliebig mit einander verbinden
kann. Hiermit allein läßt sich schon ein langer Winterabend vergnüglich
aussüllen.
> Vier Stäbchen (Fig. 2). geschickt mit einander verbunden,
stellen „einen unter thänigsten guten Morgen" in
/ linearer Manier dar. Die Ecke, aus welche der Pfeil zeigt,
pflegt man den Kammerdiener- cder Fußtrittswinkel
zu nennen. Diese muntere Stäbchencombinalion dürfte in den
- Herzen verflossener Größen manche heitere Erinnerung Hervorrufen.

Soli


Fig. 4 (12 Stäbchen), der ruhige gutgesinnte Bür-
ger, von hinten gesehen. Wahrlich, ein Biedermann, wie er
leibt und lebt! Solch einen Bürger zu beberr'chen, muß eine
Freude, eine Lust sein!

Fig. 5 lll Stäbchen), dasselbe Sujet, in allegori-

£ ich er Auffassung. ES läßt sich wohl elwaS Sinnigeres
_ und AnmuthigereS mit jo geringen Mitteln kaum berflellen.



Fig. G (15 Stäbchen), der tapfere
Infanterist und Fig. 7 (22 Stäbchen»,
/ der tapfere Eavallerist. An diesen
beiden Släbchenstguren wird die ver-
flossene Größe ganz besondere Freude ha-
ben, und der öftere Anblick derselben
wird ihr über manchen Kummer hin-
wegbelfen. Sobald nur Stäbchen genug vorhanden sind, lasten sich aus diese
Manier ganze Armeen tapferer Reichstruppen auf den Tisch zaubern.
cf*. r, Fig. 8 (14 Stäbchen), der Anfang einer See-
jkj.C- macht. Ein allerliebstes Bildchen, welches, auch im
Großen ausgeführt, als Zimmcrzierte einigen Kuustwerlh
haben dürfte. Der Verflossene wird sich daran, alö an

-L5.

z

der Verwirklichung eines feiner kühnsten Träume, nicht wenig erquicken.
 
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