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Detmold. Der erste Act unseres neuen Cabinetsminister, die strengere
Erhebung der Steuern betreffend, hat durchaus keine Aehnlichkeit mit dem
ersten Act des »aimund'schen ..Verschwenders", in welchem Herr von
Flottwell in Geldsachen äußerst gemüthlich ist!

Danzig. Eine hier gestern in der Morgenstunde glücklich zu Stande
gebrachte Petition um persönlichen Schutz der Jesuiten hatte —
Goldwajser im Munde.

Kaiser WilhelmS-Ltraße. Die Ausführung unseres großartigen Pro-
jects geht nun seiner Verwirklichung entgegen. Unsere Riesenstraße nimmt
ihren Anfang im Lustgarten zwischen dem Dom und dem Schloß, durch,
bricht die Burg-. Heiligegeist.. Papenstraße und Königsmauer bis zum
Victoria-Theater, und nimmt dann in ihrem weiteren Verlaus durch Strauß-
berg. Wriezen, Pyritz und Schievelbein ihren Ausgang in die
Ostsee.

Chislehurst. er pumpt - sie verklopft — Plonplon gründet
— Peter putzt. Alle möchten sich am liebsten selbst versetzen — nach
Frankreich.

Philadelphia. Der Charakter der Alabamafrage gewinnt durch die
Bemühungen einflußreicher, der Regierung nahestehender Persönlichkeiten
immer mehr Aehnlichkeit mit dem Charakter des berühmten Namensvetters
unserer Stadt, der stets zu allen Thoren — zugleich hinauslitt und stark
in Taschen spielte.

Dortmund. Bei dem Empfang des vr. Conrad Martin von
Paderborn ließ der Lehrer Lübke den „Märtyrer im Vatikan" und
den..Heldenkaiser Wilhelm l.'. als die größten Männer der Zeit,
zugleich leben. Der Bischof bedauerte im Stillen, in die Stadt gekommen
zu sein; er hätte es vorgezogen, vor Dort — mund halten zu können.

Essen. Eine arme Witwe, die ihren Kindern die nothdürftigste Kleidung
nicht geben kann und sie deßhalb nicht in die Schule schickt, wird citirt. und
kann nicht kommen, weil auch sie nichts anzuziehen hat. Sie erhält ein
Strafmandat, kann nicht zahlen, und wird nun mit ihren Kindern, die
sie nicht allein lassen kann, ins Gcfängnih gebracht, wo die Familie
nun endlich Nahrung und Obdach findet. Ein neuer Beweis, daß Bildung
das beßte Mittel gegen die Armuth ist, und der Schulzwatig den
Pauperismus unmöglich macht.

Potsdam. Tie Nachricht, daß Herr von Mühl er hier ein Haus
gekauft habe, ist der N. Pr. Z. nach nicht richtig. Ein Mann von der
stommen Denkungsart des früheren Cultusministers kann unmöglich in der
Nähe des BabelS — bergs seine Hütte bauen.

Ltraßburg. Hier soll am l. Mai etwas „gegründet" worden sein.
Im Courszettel ist jedoch noch nichts darüber zu finden.

Posen. Die Ernennung des Domherrn Kozmian zum Consistorial.
rath ist lxmptsachlich im Hinblick aus seine seltene Nneigennützigkeit erfolgt
die ihn überall,'-sogar in Homburg, leer ausgehen ließ.

Vaticanheim. Die „mildere Praxis" soll mit dem neu ernannten
DeutschenReichsbotschaster dahin festgesteüt werden, daß die kl eine^Exconi.
munication nichts Großes sein, und durch die große Excommunication
Niemand in seinem Werthe verkleinert werden soll.

Aus der WilhelmSstraße. Nach der Nordd. Allg. Zeitung wird die
Staatsregierung nunmehr einen Beschluß hinsichtlich der Exconnnunlcation^
zu fassen haben. Der beßte Beschluß wäre, statt des Beschlusses - ^
Bischöfe selbst zu fassen.

Ewige Lampe. Auch Wrängel soll der langjährigen Militärs,
zeit wegen aus wandern wollen.

Kranzlers Ecke. Man munkelt von einem liefen Zwiespalt
zwei hohen Persönlichkeiten. Die Eine habe sich dafür erklärt,
Räumung des Französischen Gebiets zu beschleunigen sei. falls Frankreich
die Zahlung der Milliarden beschleunige; die Andere habe dagegen ernstlich
protestirt, und darauf bestanden, daß die Räumung nicht früher erfolgen
dürfe, als bis die neuen Befestigungen von Metz und Straßburg vollen,
bot seien.

Zehn Minuten später. Wie wir so eben vernehmen. ist der obige
Meinungsstreit nicht zwischen Bismarck und Moltke. sondern zwischen den
Herren Ameier und Bemeier entstanden, und auch bereits beigelegt.

Berliner Stadtgericht. Wozu der große Lärm? Moltke hat oft
genug recognoscirt; er kann sich auch einmal recognosciren lassen.

Bukarest. Bekanntlich heißt Bukarest „Freudenstadt", und so ist
auch unser anmuthigeö Rumänien noch immer das lieblichste Idyll in der
Uebercivilisation Europa's. Hier herrscht noch heilige Mordsucht und schürt
die Flamme der Begeisterung für Raub. Brand und Plünderung, die reinen
unschuldigen Hände mit den Brillanten todtgeschlagener Juden zum Eide der
Geschworenen erhebend. Der Menschheit Würde ist in die Hand unserer
Staatsanwaltschaften gegeben, und sie bewahren sie. Hoffentlich werden die
Europäischen Mächte in ihrer Weisheit und Kraft noch lange ihre hohe
Aufgabe darin erkennen, dieses Eiland irdischer Gerechtigkeit zu erhalten.
Quittungsstempel zahlt die Zukunft.

Marseille. Gambetta nennt sich einen „Commis-Doyageur der
Demokratie". Er hat bis jetzt noch in nichts gemacht als in — Phrasen;
aus den Artikel aber versteht er zu reisen.

Vom Europäischen Zimmerplatz. Die Meister gesellen sich immer
mehr zu einander, die Gesellen zu bemeistern.

Carlos.

Spanien! Seit die Tugendrose.
Die Zweibein'ge. du zerpflückt hast.
Still mit Amadeo hausend.

Schienst du ruhig und zufrieden.

Aber jetzt, was ist das wieder?
Ueberall welch Bandenbilden!

Ueberall welch ein Verschwören!

Ueberall PronunciamentoS!

Auf den Bergen von Navarra.

Nahe-an Castilienö Gränze,

Hält ein Häuslein von Car listen;

Und eS spricht der Edlen Einer:

„Freunde, als wir gestern Morgen
Ritten durch die Stadt Estella.

Fiel mir ein: wo weilt Don Carlos.
Welchem wir das Reich erobern?

Ob er wohl schon überschritten
Hat die Bidassoa-Brücke.

Wo ein altersgrauer Heil'ger
Steht, nach beiden Seilen blickend?

Hat er uns doch fest versprochen.

Bald zu stehn in unsrer Mitte!

Doch in unsrer Mitte seh' ich
Nichts von dem berühmten Helden!

Spricht'6. und aus dem Schnappsack langt er
Hurtig die gestohlne Zwiebel;

Beißt hinein, und einen Bittern
Schicki er nach dem scharfen Bissen.

Spricht daraus der Dandenführer,

Dessen Ruhm weit ist verbreitet.

Weil er durch die Gunst der Heil'gcn
Zweimal schon dem Strick entronnen:

„Edler Don! Vortrefflich hast du,

Und so weise du gesprochen.

Daß mir's schwer fällt, in der Antwort
Gleiches Gold dir darzuwügen.

Eines nur möcht' ich bemerken:

Was du von Don Carlos sagtest.

Klingt erstaunlich — ja. ich wage.
Abgeschmackt es zu benennen.

Sieh, Don Carlos hat viel Schwächen —
Wollen wir'ö uns nicht verhehlen —

Schäbig ist er von Gesinnung.

Und sein Kopf ist nicht der stärkste.

Abergläubig ist er. gierig.

Eitel und unzuverlässig,

Sehr verlogen auch im Reden
Und von Herzen ziemlich tückisch.


Aber eine große Tugend
Hat Don Carlos: Vorsicht heißt sie.
Die befiehlt ihm, fern zu bleiben
Dem fatalen Schlachtgetümmel.

Weil ich's nicht für ganz gefahrlos
Halte, hier umherzustreifen
In Navarra, in Biöcaya
Und Castilien, so vermuth' ich —

Daß er jetzt in kalten Ländern
Weilt, die fern von Spanien liegen,
Oder auch in also heißen,

Daß sie gleichfalls sehr entfernt sind.

Daß er nicht in unsrer Mitte
Weilt, dem wir das Reich erobern,

Soll uns das die Stimmung trüben?
Soll uns das den Mnth verdunkeln?

Ist nicht schön das Dandenbilden
Schon an sich, das Unruhstiften?

Läßt sich's nicht beim Landdurchschwärmen
Ueberall bcquemlich mausen?

Wenn er kommt, so wird er da sein!
Kommt er nicht, ist nichts verloren!
Leert die Gläser, schwenkt die Hüte!
Spanien hoch, und hoch Don Carlos

Kladderadatsch.


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