Kladderadatsch: Humoristisch-satirisches Wochenblatt (35.1882)

-Sicblirf) ist baä Fest bcr Weihnacht,
Es erfreut sich ber Verehrung
Mer Kinder; denn be» art'gen
Bringt es reichliche Boscheerung.

Bei ben Gabe», bie bes Deutschen
MichelS Weihnachtstisch bedeckten,
Wieder lag ein stattlich Häuflein
Von verschiedenen Projectcn.

Viel bes Trefflichen war drunter,
Aber keines hoch von allen
Hat mir wie bas allerneu'ste
Kanzler-Pap st-Pro je et gefallen.

Schänblich ist, waS in Italien
Jetzt ben Päpsten wird geboten:
Der lebendige wird geärgert,

Und inan spottet frech des tobten.

Nicht einmal zur PeterSkirche
Kann Herr Leo mehr gelangen;

Wie im Käfig hält ben Leuen
Man im Vatican gefangen.

Daß Italiens Katholiken
So verfahren mit dem Armen —
Jeder Deutsche Lutheraner
Müßte sich darob erbarmen!

Auf, zu sprengen seinen Kerker!

Auf, z» lösen seine Ketten!

Nur bcS Deutsche» Reiches Kanzler
Kann den armen Papst erretten.

Er, der Alle will versorgen,

Die enterbt das Erbenleben,

Das geraubte Patrimonium
Wirb dem Papst Er wiedergebcn.

Die frivolen Jtaliäner
fBirb aus Rom Er flugS vertreibe»;
Gänzlich soll dem Papst die heil'ge
Stabt als Eigcnthum verbleiben.

Weber Parlament noch König
Habe» etwas dort zu suchen;

Ruhig mag er Heil'ge machen,

Ruhig segnen oder stuchen.

Und dagegen wird der gute
Leo bankerfüllt sich zeigen:

Durch ein unfehlbares Machtwort
Bringt das Ccntrum er zum Schweigen.

Höchste Leistung aller Staatskunst!

O Triumph, nicht zu beschreiben,

Also durch den heil'ge» Vater
Unser» Windthorst auszutreiben! —

Diese neue Botschaft hörte
Michel, beinah froh erschrocken,

Als er stand und sinnend lauschte
Auf de» Schall der NeujahrSglocken.

Und fast wollt' es ihn bedünken,

Daß in ihre ernsten Klänge
Höchst frivol und ganz vergnüglich
Sich ein helles Klingeln menge.

War das nicht der Klang der Schellen,
Die in lnst'ge» FaschingStagcn
Bald Prinz Carneval und seine
Leute an den Kappen tragen?

KkMrrMW.

oSg? Prophezeiungen für dos Jahr 1882.

(AnS dem Nachlaß des Schäfers Thomas.)

2n diesem Jahr wird durch das plötzliche Auftreten des Cigarren-
wurms die Tabaksmonopol-Frage auf unerwartete Wege gelöst
werden. Der erwähnte curiose Wurni wird sich zuerst an den Hauptpflanz-
stätten des Tabaks, in der Uckermark und in der Havana, zeigen und
vdn dort aus die ganze rauchende Welt überziehen. Er frißt aus der eben
gewickelten Cigarre die Einlage heraus und benutzt das Deckblatt zur Ver-
puppung. Der Rest der Hoffnung wird den Monopolschwärmcrn dadurch
genommen werden, daß gleichzeitig der Pfeifenkäfer austritt, welcher im
Abguß seinen Sitz hat und von dort aus mit rapider Schnelligkeit den In-
halt des frisch gestopften Pfcifcnkopfs frißt, noch ehe das Feuer dazu
kommen kann. Da die Schnupfer allein den Kohl nicht fett machen, so
wird nian sich nach einem andern Blatt nmsehe» müffcn, welches dazu ge-
eignet ist, für das „Patrimonium der Enterbten" benutzt zu werden.

Auf dem Gebiet des Zollwesens werden mehrere sehr einträgliche
Neuerungen zur Einführung kommen. Danziger Goldwaffer wird alS
„Gold in Barren" verzollt werden, Bücher werden — weil sic offenbar
„Nutrimentum spiritus“ sind — als „Spiritus" zur Verzollung kommen.
Wer unter seinen Freunden als eine „gute Hanl" bekannt ist, wird an der
Gränze den für Felle und Häute besserer Qualität festgesetzten Zoll
zu entrichten haben. » „ *

In diesem Jahr werden zum ersten Mal für die Beamten des
Staats Censurcn eingeführt werden. Dieselben kommen jedes Viertel-
jahr zur Vertheilung und sind für die Zukunft des Beamten entscheidend.
Wer nicht in „Gesinnung" wenigstens „ziemlich befriedigend" hat,
wird unbedingt versetzt. - ,

In diesem Jahr wird der große Strike anSbrcchen unter den offi-

ciösen Sch-reib ent. Sie werden nicht weiter arbeiten wollen,

wenn sie nicht doppelten Sold und für jedes Schimpfwort, das sie in die
Feder nehmen, eine Extra-Gratisicatio» erhalten. Da ofsiciöse Blätter nicht
zu entbehren sind, wird man, wohl oder übel, ihnen nachgeben und außerdem
die Rädelsführer unter ihnen zu CommissionSräthcn ernennen müssen.

In diesem Jahr wird an der Börse ein Aufschwung in Pol ar-Wcrthen
stattfinden. Eine Acticngesellschaft wird gegründet werden zu dem Zweck, auf
dem Nordpol, falls derselbe erreicht und von den Aerztcn für einen klimatischen
Cur-Ort erklärt werden sollte, ein großes Hütel nach Amerikanischem Muster
zu errichten. Die Aktien werden über Pari steigen, und im Anschluß an die
Hötel-Gründung wird von einer zweiten Gesellschaft eine Hundeschlitten -
bahn in Aussicht genommen werden, welche vom 81. Breitengrade direct auf
den Nordpol führt. » ,

In diesem Jahr spätestens wird das Bier verstaatlicht werden. Da
das Bier nunmehr in Staatsbraucreien aus reinem Glycerin hergestellt
wird, jo ist alle.» Fälschungen vorgcbeugt. Die Biertrinker selbst aber werden
einmal im Jahr in Bezug auf das Quantum, das ihnen täglich gestattet
ist, amtlich gcaicht und abgcstempelt. Für jedes halbe Liter, da-S nian
über sein amtliches AichnngSmaß hinaus trinkt, hat man den doppetten
Preis zu bezahlen. Die Einnahmen durch das Bi er-Monopol müssen
sich als coloffale Herausstellen.

Dic Gedächtnißschwäche Sr. Hochchrivürden de-Z Herrn Stöcker wird
in diesem Jahr derartig zunehmen, daß er immer seine Photographie bei
sich tragen muß, um sie jeden Augenblick hervorholen und durch ihren An-
blick sich inS Gedächtnis; zurückrufen zu können, wer er ist. Häufig aber
wird er vergessen, die Photographie einzustecken; dann wird er sich selbst für
einen Andern halten und dadurch die schrecklichste Verwirrung anrichten. Daß
er dabei auch vergißt, wo er sich befindet, wird ihm natürlich ebenso häufig
begegnen. , ,

In diesem Jahr werden über die Köpfe des Centrums hinweg die
Verhandlungen mit Rom zu Ende geführt und der Culturfriede wird
abgeschloffcn werden. Das Ccntrum, dadurch als Partei unmöglich gemacht,
wird durch Herr» Pindter vollends auseinandergesprengt und bis in die
Gegend von Meppen verfolgt, wo sich die Reste desselben fcstsctze», um aus
Erbitterung gegen die Regierung dem dort blühenden Tabaksschmuggel sich
zuzuwende». Herr Windthorst wandert nach Windthorst in Nord-