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~>c- Zwei neue Movsll'en. jmr

des Eisenbahndichters Casimir Schnellzug.

I. Per Wellfakrcr.

Zwei volle Kilometer Halle Emil, der kühne Radfahrer, dem Schnell-
zuge vorgegeben, der, von Berlin über Potsdam kommend, die romantischen
Fluren Magdeburgs zu erreichen strebte. Jetzt legte er los und eilte dem
schnaubenden Dampsroß nach. Saß doch in dem vordersten Coups des ge-
nannten Zuges die schöne Minna, die, von Hause aus nicht unvermögend,
ihm nur unter der Bedingung Herz und Hand zugesagt, das> er, mit einem
Schnellzuge der Berlin-Potsdam-Magdeburger um die Welle fahrend, diesen
überholte.

Immer kürzer wurde die Strecke, die den kühnen Stahlroßbändiger von
dem Ziel seiner Wünsche trennte, schon tauchten die Schornsteine der Magde-
burger Zuckerfabriken am fernen Horizonte auf, als Emil, unterstützt durch
die drei Minuten Aufenthalt in Burg, den hinterste» Wagen des Zuges
erreichte. Was kümmerten ihn die drohenden Paragraphen des Bahnpolizei-
reglements, was kümmerte es ihn, daß ein Heer von Bahnwärter», Dorf-
schulzen, Landgensdarmen und Stationsvorstehern hinter ihm herstürmte, um
ihn zu verhaften, daß über seinem Haupte in heller Entrüstung der Tele-
graph spielte, um die Behörden in Magdeburg auszubieten — vorwärts, nur
vorwärts! Ein Waggon nach dem anderen wurde überholt — jetzt schoß er
triumphirenden Blickes auch an den, vordersten vorbei, der seine Angebetete
barg — da — Entsetzen lähmte seine Tretbeine — da sah er eine Schwadron
berittener Schutzleute von Magdeburg her ihm entgegensprengen. Eine
düstere Ahnung sagte ihm: sie waren telegraphisch verständigt.

Was thun? Eben überlegte er sich, ober, seitwärts abbiegend, die ganze
Wette zum Teufel gehen lassen sollte, da flüsterte eine sanfte Stimme:
„Kommen Sie rein in die gute Stube!" und Minna öffnete, im Widerspruch
zu den Bestimmungen des Bahnpolizeireglements die Coupßthüre. Freudig
sprang Emil von seinem Velociped herab in die rettenden Arme, und während
das durch die mannichfache» Vorgänge scheugewordene Bichcle, in tollen
Sprüngen querseldein rasend, die ganze Hetze der Verfolger nach sich zog,
fuhr das nunmehr vereinigte Paar majestätisch und unbehelligt in die stolzen
Hallen des Magdeburger Bahnhofes ein.

Die Glücklichen!

II. Am Schnee verweht.

Ksch—ksch—uihihihihiii!

Noch einmal bäumte sich das die polnische Tiefebene durchbrausende
Dampfroß des fahrplanmäßigen Schnellzuges No. 711 in verzweifelter Krast-
anstrengung aus und versuchte, indem es einen schneidenden Wuthpsiff ausstieß
und mit allen Rädern um sich schlug, gegen die übermannshvhe Schneemauer

flus ftcifinauiCs Tagebuch.

3ia, ich regiere nun so ruhig weiter. Aber Maina ist sehr verschnupst.
Sie wollte Im Falle eines Krieges als Jungfrau von Orleans das
Oberkommando übernehmen, und die Armee hat sich dagegen aufgelehnt.
Wenigstens hat Mama durchgesetzt, daß die Wachen vor ihr präsentiren, das
macht ihr immer viel Spaß.

Heut wieder kleiner Ministerwechsel nebst obligater Kneipe und Schlnß-
balgerei mit Stuhlbeinen. Sehr nett!

Heiliger Muhamed, tvas haben wir gestern gelacht. So einen Spaß
habe ich in meinem Leben noch nicht gehabt! Wir sitzen ganz gemüthlich
bei unserem Abendskat, da kommt mein Kammerdiener herein und bringt
"einen eingeschriebenen Brief vom Sultan, enthaltend die bekannte Ungiltigkeits-
erklärung unserer Regierung. Mama, die doch sonst nicht so leicht die Conte-
nance verliert, bekam beinah Lachkrämpfe, als ich das Ding vorlas, sie rief
einmal über das andere: 0b la bonne farce! Oh quel graeienx petit
Padischah! Dem dicken Wutkurow liefen immer nur so die Lachthränen
herunter, und ich selber bi» heut noch ganz schwach im Magen vor Lachen.
Ich habe dem guten Sultan auch gleich Mamas Photographie und
5000 Piaster für das Vergnügen geschickt.

Trara! Trara! Mama reist ab, Mama reist ab, Mama reist ab, Trara!
— Ich kan» mich vor Vergnügen noch gar nicht fassen und habe Mühe,
ein verdutztes Gesicht zu machen. Warum sie sortgeht, weiß ich nicht. Viel-
leicht bekommt ihr das Klima schlecht, oder die bulgarischen Nationalgerichte
schmecken ihr nicht oder so etwas dergleichen. Aber abreisen thut sie, und ich
werde sie mit allem Pomp bis zur Grenze geleiten und mich dann hier in
Sofia meines Lebens freuen. Ballen juchhe!

anzukämpfen, die sich vor ihm austhürmte. Es war umsonst. Der Zug steckte
unweigerlich fest.

Wie niederschmetternd mnßte diese Thatsache auf das Gemiith des jungen
Isidor wirken, der, von Warschau kommend (er hatte daselbst das stetige
Fallen des russischen Rubels beobachtet) sich heute Abend mit der schönen
Rosa, der immerhin begehrenswerlhen Tochter des reichen Bankdirektors
Meyer in Posen hatte verloben sollen. Nun steckte er fest, Carriere, Braut,
Mitgift konnten ihm flöten gehen, und er . . . oh, fürchterlich waren die
Qualen, die seine Brust durchwühlten!

Trotz der dicht hernicdcrrieseliidcn Flocken stieß Isidor das Coups-
fenster aus und sprang hinaus, uni nöthigenfalls die Strecke bis Posen zu
Fuße zurückzulegen. Da stieß er auf ettvas Hartes. Er bückte sich nieder
und erkannte, daß es der fahrplanmäßige Cvurierzug Nr. 44 sei) der, von
Posen kommend, ebenfalls auf dem Wege nach Warschau stecke» geblieben
>var. Neugierig öffnete er ei» Damencoups II. Klasse und — was mußte
er da erblicken! Da lag seine angebetete Rosa in den Polstern und schmiegte
sich traulich an die Brust des ihm wohlbekannten Kassirers aus dem
Meyer'scheu Bankhause.

„Rosa, Rosa!" rief Isidor, wie in einem bangen Traume besangen,
„was thust du da?"

„Ich gehe durch," lispelte Rosa.

„Unselige, siehst du denn nicht — hier ist kein Durchgang!"

„Der durchgehende Zug in unserer Familie ist unwiderstehlich," er-
widerte Rosa.

„Elende, wo ist dein Vater?"

„Und deine Mutter?"

„Schließt wieder die Logen im Stadttheater."

„Und dein Bruder?"

„Schippt Schnee aus der Straße nach Jnowraclaw."

Isidor stand einen Augenblick starr. Dann wandte er sich an den
Kassirer, der bis dahin eifrig das Geld, das sich in seinen Westentaschen
befand, überschlagen und durchgezählt hatte. „Edler junger Mann," rief er
emphatisch aus, „der Himmel lohne Ihnen,Ihre Gutthat!"

Damit empfahl sich Isidor, suchte sein Coups auf, warf sich in die
Polster und ries mit einem Seufzer der Erleichterung: „Gott sei Dank, nun
brauche ich sie nicht zu heirathen."

Bald darauf thaute es, die Gleise wurden srei, und nach zwei ver-
schiedenen Richtungen dampften Rosa und Isidor auseinander. Sie haben
sich nie wieder gesehen.

Neue Absperrungen.

Am letzten Mittwoch war der Geburtstag Schultz es, der bekanntlich
in der Landsbergerstraße wohnt. Da ein sehr starkes Zuströmen von Gratu-
lanten vorauszusehen war, so hatte die Polizei, um Unordnung zu verhüten,
am frühen Morgen schon die zunächst liegenden Straßen für Wagen und
Reiter, die etwas entfernteren auch für Fußgänger abgesperrt. Die Sperre
tvurde bis 12 Uhr Nachts aufrecht erhallen. Da es auch den Freunden
Schultzes nicht gelang, sich Passirkarlen zu beschaflen, so verlebte das Ge-
burtstagskind sein sechzigstes Wiegenfest im engsten Familienkreise. Das
einzige Unangenehme war, daß das Dienstmädchen Minna, welches zur
Einholung des Festbratens ausgeschickt war, von den Schutzleuten zwar aus
dem Hinwege, nicht aber aus dem Rückwege durchgelassen wurde. So mußte
man sich an Schultzes Ehrentage mit den aufgewärmte» Reste» eines
falschen Hasen begnügen. Zum Glück war Schnitze mit Getränken versehen.

Binnen kurzem sollen in Berlin die Schwalben ankommen. Nutzen
stiften dieselben bekanntlich nicht, sondern beschmutzen nur die Häuser und
verderben durch Niedrigfliegen das Weiter. Aus diesem Grunde hat die
Polizei beschlossen, diesmal um die Schwalbenzugzeit herum diejenigen Stadt-
theile, in welchen selbige Vögel am liebsten nisten, durch reitende Schutzleute
abzusperren. Wollen sehen, ob es etwas hilft. Einige meinen, daß diese
Maßregel ohne fliegende Schutzleute nicht durchzuführen ist.

Gereitet uuiC ge riib. t et.

Der Schwiegersohn Wilson ist in zweiter Instanz freigesprochen worden.
Aus der ersten ging er kohlschwarz hervor. Ihn vollständig weiß zu
waschen, gelang auch der zweiten nicht. Immerhin konnte er in gesprenkel-
tem Zustande das Gerichtsgcbäude verlassen.
 
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