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154

24 Jb

MomHcrmme^ ßci den Wednrnen.

Ick wohne nämlich hinter'» Stralauer Platz, wo mein Schwager immer
sagte, das, es der Mittelpunkt der Stadt is, was ick aber bis heutijen Tag
nich jejlaubt habe.

Er meinte nämlich, daß die Stadtbahn des Rückenniark von Berlin is
und wir z. B. an n' Hacken wohnen, währenddem der Zoologische Zarten des
Jehirn is, weil doch nu mal allens nach Westen drängt, so das, die Leipziger
Straße so weit außerhalb von Berlin liegt, als sie sich von die Stadtbahn
entsernt hält, welche nu mal die Hauptader von Berlin bleibt.

Doch davon später einmal.

Ick hatte mir nämlich schon so lange, als diese sojenannten Beduinen
bei uns grassiren, vorjenommen, sie einen Jejenbesuch zu machen, weil ick
doch nich recht annehmen konnte, daß sie nach die Mühlenstraße piljern würden.

Bis jetzt oberst war ick nich dazu jekommen; ick weeß noch immer nich,
ob wir vielleicht zu spät essen, oder sie zu früh loslejen, oder aber ick meinen
Nachmittagsschlaf nich jerne abknappse! Jenug, ick kam nich dazu, un Abends
um 8 war's mir zu spät.

Ick nehme mir also die Stadtbahn und jondele ruhig nach Bellevue.

Schon bei'» Bahnhof kam ick in einen Menschenstrom, daß ick jloobte,
die Beduinen würden wejen Mangel an Raum jar keene Vorstellung jeben
können. Es kam aber anders. Denn der janze Zug ging bei den Einjang
vorbei nach'« Thierjarte», und die von drüben herdrängelten, zogen nach
Moabit.

Des Wetter war zu schöne for diesen Sommer.

An die Casse wundre ick mir jleich über die hohen Preise, aber ick
denke mir, daß vielleicht 'n Jast aus Masiauah auftritt, bleche und jehe rin,
natürlich auf'n ersten Platz.

Donnerwetter war des leer! Sollten unse Wüstenbrüder so wenig Ent-
jejenkommen bei uns finden? Ick wollte eben meinen Nachbar um Auskunft
bitten, aber der saß wie ausjestoppt da und stierte durch sein Penzeneh über
die Brille die Bahn runter, denn nu kamen sie!

Hurrah! Ein janzer Haufen kam aus uns los, raste vorüber, stürmte

auf die andere Seite wieder retour und denn wieder vorbei, deß mir ordentlich
schwindlig wurde.

Eins aber siel mir unanjenehm aus. Die Beduinen hatten mehrstentheils
Schuhe an, Strümpfe, enge Beinkleider, kurze Jacken und janz schnurrige
Kopfbedeckungen.

Ick wandte meine Rede an den Nachbar und sprach mein Bedenken über
die Bekleidung der Beduinen aus.

„Is denn des ihre Nationaltracht?"

„Wo denken Sie hin," sagte der Nachbar, „sie können doch nich so über
die Straße gehn?"

„Ick meene, ob sie so bei sich zu Hause runiloofen?"

Der Nachbar sah mir von oben bis unten über die Schulter an und
drehte sich denn wieder mit'n Kucker nach die Beduinen um, die wol schon
des vierte Mal in'n Kreis rumjelausen waren.

Noch mal rum und immer wieder rum.

Jetzt jings mir doch schon über die Hutkrempe. Zettel hatte ick ooch
nich jekriegt. Also frisch noch mal an den Nachbar.

„Entschuldigen Sie, wenn kommen denn die Pferde?"

„Pferde?" rief er erstaunt, „Radfahrer zu Pferde?"

„Aber", sagte ick, „ick bin doch um die Beduinen jekommen?"

, Jewiß!" lachte er, „das sind Sie, wenn Sie nicht bis morgen Nach-
mittag um 5 hier bleiben wollen, wo die Beduinen wieder austreten. Ich
würde Ihnen sogar sehr ratben, hier zu bleiben, denn jetzt beginnt gleich
das Vierundzwanzigstundenrennen, das ganz ungemein interessant zu werden
verspricht."

So rinjefallen war ick mein Lebtage nich! Des Jeld war weg, die
Beduinen ooch, und nu sollte ick noch 24 Stunden zusehn, wie die Kunst»
Velocipedisten da unten rumnuckelten?!

Ick bedankte mir bei den Herrn, schützte Durst vor und entkam jlücklich.

Die janze Nacht habe ick die unjlücklichen Radfahrer um mein Beile
rumnusseln sehn.

Nie wieder!!!

Im ömi Fommertagebuche einer gehorsamen Tochter.

... 15. Juli. — Endlich sind wir in dem einsamen Strandnest an-
gelangt. Die sechsstündige Fahrt aus den» Leiterwagen war anstrengend und
nicht ungefährlich, aber wir sind doch mit einigen Quetschungen und Haut-
abschürfungen davongekommen. Ich werde hier wenig Gesellschaft finden,
aber ich will geni jede Entbehrung für meine» lieben Vater ertragen. Er
will hier feine große Dichtung zu Papier bringe», die er als das Kunstwerk
der Zukunft bezeichnet. Es soll ein für drei Abende berechnetes Drama
werden, in welches einige Epen von mittlerem Umfang und mehrere Hunderte
lyrischer Gedichte eingestreut sind. Eine solche Vereinigung widerspricht ja
allem, was wir in der Schule über Poesie gehört haben, aber der schassende
Genius hat wohl das Recht, sich über die hergebrachten ästhetischen Schub-
fächer hinwegzusetzen.

... 16. Juli. — Die Gegend hier mit ihrer ländlichen Stille eignet
sich vortrefflich sür das Dichten. Die wenigen Wagen, die es hier gibt, hört
man in dem tiefen Sande nicht, und fernes Hähnekrähen, das den ganzen Tag
hindurch ertönt, gilt ja sür idyllisch und stimmungsvoll. Wenn nur das
Wetter besser werde» wollte! Papa dichtet bei bedecktem Himmel schon schwer,
bei Regemvetter aber überhaupt nicht, und darüber darf man sich nicht
wundern, denn das zartbesaitete Dichtergemllth ist empfindlicher gegen
atmosphärische Einflüsse als gewöhnliche Menschenseelen. Papier, Tinte,
Feder, alles ist in bester Qualität da, und am ersten sonnigen Tage soll
es losgehen.

... 27. Juli. Das scheußliche Regenwelter hält noch immer an. Das
ist schlimm, denn wir kommen nicht zum Ausgehen und Papa nicht zum
Dichten. Schlimmer aber noch ist es, daß er in dem einzigen Wirthshaus
dieses trostlosen Orts einige Skatspieler gefunden hat, mit denen er jetzt
den ganzen Tag zusammensitzt. Wen» wir ihm Vorstellungen machen, so
erwidert er: „Auch Lessing spielte leidenschaftlich gern Karten. Er be-
trachtete diese Unterhaltung als Complement des angreisenden dichterischen
Schaffens, und tvas er that, werde ich doch auch noch thun dürfen!" Daß
Lessing gespielt hat, weiß ich ja noch von der Schule her, aber er hat
dabei noch Zeit gesunden, mehrere ziemlich dicke Bände zu schreiben.

.... 3. August. — Seit gestern haben wir den schönsten Sonnenschein,
aber Papa spielt ruhig weiter. Er erklärt, das Wetter werde doch gleich
wieder Umschlagen, und deshalb könne es gar nichts helfen, mit seiner um-
faffendeu Dichtung anzufangen. Nach dem, was uns der Sommer bisher
geboten hat, kann ich ihm allerdings nicht Unrecht geben.

.... 5. August. — Gestern hat Mama den gordischen Knoten, in den
sich Vater verstrickt hatte, und den sie nicht zu lösen wußte, mit dem Schwerte
eines raschen Entschluffes zerhauen. Sie ist selbst in das Wirthshaus ge-
gangen und hat Papa direct vom Skattisch iveggeholt. Er hat ihrem
energischen Austreten keinen Widerstand entgegengesetzt, sondern ist mitten
aus dem Spiel ausgestanden, während die anderen ziemlich vernehmlich
allerlei von „Pantoffelherrschast" und „Weiberregiment" gemurmelt haben.
Darüber ist ein Streit entstanden, in den auch Mama eingegrisfen hat, und
schließlich sind die Ausdrücke aus beiden Seiten so scharf geworden, daß eine
Aussöhnung unmöglich erscheint. So ist er wieder unser und wird jetzt mit
dem Dichten beginnen!

.... 7. August. — Heute habe ich traurige Ereignisse zu verzeichnen.
Ich hatte Papa zum Kiefernwald begleitet, um ihm ei» stimmungsvolles Plätz-
chen auszusuchen und ihm das Dichtpult hinzutragcn. Dies Pult habe ich
ihm Weihnachten geschenkt, da er in den Morgenstunden oft an Händezittern
leidet und also nicht so leicht wie andere Dichter, die auch im Freien arbeiten,
auf dem Knie schreiben kann. Es ist einfach, aber geschmackvoll in Mahagoni
gearbeitet und trägt aus der oberen Kante einen leierspielenden Apoll;
schraubt man die obere Hälfte des Gottes ab, so erscheint in der unteren
das Tintensaß.

Schon nach einer Stunde kam Papa in der höchsten Aufregung zurück.
Ein Forstbeamter war plötzlich erschienen und hatte erklärt, er dichte dort
in einem Privatwalde, dessen Betreten verboten sei. Nach einem hestige»
Wortwechsel hat der rohe Mensch ihm das Pult entrissen und als Pfand
mitgenommen. Papa war erst gar nicht zu beruhigen; jetzt sitzt er in der
Laube und spielt Skat mit zwei Strohmännern.

... 8. August. — Wir reisen! Papa erklärt, in dem Handgemenge
mit dem Förster habe er seine Brieftasche mit dem Reisegelde verloren, und
mit dem Dichten sei e§ hier so wie so nichts. Nun hat aber Mama durch
indiscrete Aeußemngen der anderen Herren erfahren, daß ihm in den
Regentagen eine zienilich bedeutende Summe im Spiel abgenommen ist, und
so warf sie ihm Nnwahrheitsliebe und gewissenlose Verschwendung vor.
Dies führte zu unerfreulichen Auseinandersetzungen, die sich wohl noch eine
Zeit lang hinziehen werden, weshalb ich in kindlicher Pietät diese Auszeich-
nungen vorläufig unterbreche.
 
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