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Schultze. 9lljo der Archivrath Berkemeyer is Aristokrat vom
Scheitel bis zur Zehe.

Mütter. Del soll er wenigstens jesagt haben, un et is jut. des? er
det Jrößenmaß for seine Aristokratie anjibt.

Zchultze. Er will ebent nich unjemessen bewundert werden.

Müller. Und unausjesetzt will er sor die Reinhaltung der Fürsten-
häuser vom unedlen Blut eintreten.

Schultze. Armer Adolf? Wie verhält's sich denn mits blaue Blut
von Schaumburg Lippe.

Müller. Ra. so lila. _ _

Schultze. Hurrah. mit die Postresorm ,ehi'S vorwärts!

Müller. Woso?

Schulde. ). haste denn nich ,elesen. deß neunzehn Postbeamten in
Hameln jekündigt jeworden is. weil se den von Podbielskt verbotenen
„Postboten" jehallen haben?

Müller. Ra. det iS jünstig. El ,tbt wahrscheinlich noch nich jenug
Blätter, die un jehallen sind. Und wat wird nu aus die Jckündigten?

Schulpe. Die melden sich InKarstädt bei Podbielskt als Schlächter
le'etlen: der wird doch Arbeitswillije nich zurückweisen. Sein oder Nicht-
sein, das ist . . .

Müller. Schwein oder Nichtschwein. daS ist hier die Frage.

An Bord des englischen Kriegs,chlsses „Majestic" vor (Gibraltar
haben Leute aus der Mannschaft die Taue durchschnitten und die Ver-
schlußstückc der Schnellfeuer Geschütze über Bord geworfen. Der Eomman
danl hat vor versammelter Mannschaft erklärt, das, dieS ein von Feig-
lingen begangener Schurkenstreich sei.

Es scheint uns. das: der Commandant die Sache ganz falsch aufgejaßt
und mit Unrecht so beleidigende Ausdrücke gegen brave britische Seeleute
gebraucht bat. Es handelt sich ohne Zweifel nur um eine Kundgebung
zu Gunsten des russischen Abrüstungsvorschlages. Die Leute konnten keine
Dankadresse nach Petersburg senden, weil ihnen natürlich politische De-
monstrationen verboten sind, deßhalb warfen sie die Geschütztheile über
Bord und gaben damit zu verstehen: „Hurrab. wir brauchen keine Kanonen
mehr!" Das; die Dbäter sich dann nickt meldeten, kann nicht überraschen,
denn streng genommen sind auch solche indirecte Kundgebungen politischen
EbaraclerS untersagt. lUbrigenS erfahren wir. das; Frau v. Suttner
die brave Mannschaft telegraphisch beglückwünscht hat.

Manche Blätter behaupten, der von dem Schaum bürg er erhobene
Krakehl habe gar keinen Zweck, denn wenn auch wirklich die Söhne des
Grasen-Regenlen nicht zur Erbfolge berechtigt wären, so würden doch erst
die übrigen Linien des Hauses Lippe vor den Schaumburgern an die
Reihe kommen.

Run. wenn sich vorläufig nicht mehr erreichen läßt. so muß man mit
wenigem zufrieden sein und sich damit begnügen, den Grafen - Regenten
gründlich zu ärgern. Ist es für das große Preußen nicht schon eine
ehrenvolle und lohnende Ausgabe, dem befreundeten Echaumburg zur Er-
reichung dieses bescheidenen Ziels zu verhelfen?

Officio» wird die Mittheilung von einem angeblich bevorstehenden
Rücktritt des Oberpräsidenten der Provinz Posen v. Wilamowitz-
Möllendors und dessen Ersatz durch den Minister des Innern
v. d. Recke als unwahr bezeichnet.

Schade? die schöne Stelle in Posen wäre dem Minister wohl zu
gönnen gewesen.

Die Königin Regentin von Spanien hat dem Präsidenten der franzö-
sischen Republik den Orden des „Goldenen Vließe«" überreichen lassen.

Einem Würdigeren konnte die Auszeichnung nickt zu theil werden,
denn Herr Faure versteht sich von seinem früheren Berufe her aus-
gezeichnet auf Fette und weiß sie als Kenner je nach ihrer Kostbarkeit
wie kein Zweiter zu schätzen.

Der preußische Justtzminlster hat eine Rundfrage an die Richter er-
gehen lassen, wie lange sie täglich arbeiten.

Sollte manche- sich vielleicht aus der Ueberarbeitung erkären lassen?

Fiat. Justitia!

Eine Socialdemokratin Frau 7 o l k s d o r s ist wegen Majestätsbeleidigung
zu 2*4 Monaten Gefängnis verurtheilt worden. Die Belastungszeugin,
von der die Denunciation ausgegangen war. hat nach dem „Vorwärts"
die beleidigende Acußerung nicht selbst gehört, sondern will sie erst durch
eine andere Frau, die kürzlich gestorben ist. erfahren haben.

Den liberalen Blättern, die diese Meldung mit den üblichen Aus
rufungszeichen versehen, theilen wir mit besonderem Vergnügen mit. daß
sich demnächst vielleicht ein noch viel interessanterer Beleidigungsprozeß
abspielen wird. Der bisher nur wegen Betruges und Unterschlagung
bestrafte Weißbierwirtb Friedrich Wilhelm Schnitze hat gegen den
Budiker August Lehmann, seinen früheren Busenfreund und jetzigen
erbitterten Gegner, bei der Staatsanwaltschaft des Landgerichts II zu
Berlin eine Denunciation eingereicht. In dem Schriftstück, das nickt frei
von orthographischen Verstößen ist. sonst aber einen sehr günstigen und
vertrauenerweckenden Eindruck macht, erklärt Schultze: „Ich kenne

Lehmann von Kindesbeinen an und bin fest überzeugt, daß er. wenn
ich auch selbst solche Aeußerungen von ihm nicht gehört habe, vom
Fahre 1890 an eine ganze Reihe von Ma;estätsbeleidigungen begangen
hat. Ich bin bereit, diese meine ausrichtige und feste Ueberzeugung zu
deichwören. wann, wo und wie oft es verlangt wird."

In juristischen Kreisen ist man aus den Verlauf dieser Sache sehr
gespannt. Unter den jüngeren StaatSanwälten und Richtern sollen schon
ganz erhebliche Wetten über den Ausgang abgeschlossen sein.

Tie RcichSbank hat ihren Diskont für Lombard-Anlehea aus 7 Pro
cent erhöht. Dazu wird in der agrarischen Presie bemerkt: „Wir können
froh sein, das; in der Bank wenigstens noch ein paar hundert Millionen
in alten Silberthalern vorhanden sind."

Run. ein Drost ist das ja. aber doch nur ein ziemlich kleiner, wenn
man nicht zu den alteü Silberthalern gelangen kanii.

Die Gerichtsverhandlung gegen den Grafen Friedrich Alt-
Leiningen Westerburg hat Vorgänge und Zustände enthüllt, die jeden
Gutgesinnten peinlich berühren müssen. Wir meinen natürlich nicht die
mit allgemeiner Verwunderung aufgenommene Berurtheilung des Grasen,
der wegen fortgesetzten und vielseitigen Ehebruchs sechs Monate Ge-
fängnis; erhielt!! Diese Verurtheilung ist nur aus der 'Beschränktheit
bürgerlicher Richter zu erklären, die für noblen Lpozt kein Verständnis;
haben. Auch daraus ist dem Grafen kein Vorwurf zu machen, daß er zu
seinem Dienstmädchen hinadstieg. denn im Verkehr der Geschlechter gibt
es keine Ltandesvorurtheile.

Rein, wir haben etwas ganz anderes im Auge. Die eine Schwägerin,
der gegenüber der ritterliche Gras die außerehelichen Pflichten erfüllte,
entpuppt sich als eine geb. Meyer! Kann unser hoher Adel seine alte
Intaktheit und Integrität bewahren, wenn sich solche Elemente in ehemals
reichsfreie Familien eindrängen? Muß nicht das beste blaue Blut de.
generircn. wenn es genöthigt wird, sich mit dem ordinären Meyer-.
Müller- und Schultze-Blut zu vermischen? Wohl nur dem zer-
rüttenden Einfluß deS bürgerlichen Blutes ist eS zuzuschreiben, daß wir
letzt so oft Sprossen alter Adelsgeschlechter auf der Anklagebank sehen,
und zwar leider oft wegen Vergehen und Verbrechen, gegen welche die
angeblichen Verirrungen des Grasen Leinin gen wahrhaft verdienstliche
Handlungen sind.

Bei dieier Gelegenheit muß in jedem nachdenkenden Menschen ein
furchtbarer Verdacht aussteigen. Sollte nicht auch unter den weiblichen
Ahnen des Grasen Lippe Biesterfeld eine geb. Meyer aufzutreiben
sein? Möge Herr Archwrath Berkemeyer doch noch einmal die Stamm-
bäume gründlich Nachsehen! Bestätigt sich, woran wir nicht zweifeln, dieser
Verdacht, so ist es natürlich mit der Regentenherrlichkeit vorbei, und der
Gras hat Detmold mit dem nächsten fahrplanmäßigen Zuge zu verlaßen.

Lange weiße Mäntel mit rothem Kragen ohne Aermel werden in
Straßburg von Osficieren probeweise getragen. Augenscheinlich machen
sich hier bereits Nachwirkungen orientalischer Art gellend. Der Burnus
ist übrigens ein kleidsames Stück, und eine Fantasia, bei feierlichen Em-
pfängen geritten, wird stets ein lohnender Vorwurf fein für Hofmaler
und solche, die es werden wollen.

ES steht nun fest, daß der Prinz Georg von Griechenland zum
provisorischen Gouverneur von Kreta ernannt werden wird.

Mein Gott, konnte daS arme Wurm denn gar keine andere Stelle
finden?

Hierzu drei Beilage«.

Wir bitten die Beiblätter zu beachten.
 
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