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VI. Ergebnisse

Die vorliegende Arbeit vereint und dokumentiert
zum ersten Mal über 270 Porträtreliefs und Relieffrag-
mente der späten Republik und frühen Kaiserzeit aus
den Nekropolen Roms und seiner unmittelbaren Um-
gebung. Das Material schließt sich nicht nur formal als
archäologisch definierte Gattung zu einer Gruppe zu-
sammen, sondern bildet auch im Hinblick auf die Auf-
traggeber und die von ihnen intendierte Wirkung der
Reliefs eine klare Einheit.

Bereits P. Zänker hatte anhand der zugehörigen In-
schriften zeigen können, daß fast ausschließlich liberti
dargestellt sind. Die ikonographischen Schemata und
auch bestimmte formale Lösungen lassen deshalb
Rückschlüsse auf die Mentalität und den repräsentati-
ven Anspruch dieser Gruppe innerhalb der römischen
Gesellschaft zu. Zu den Inschriften ist ein eigener Bei-
trag des Historikers P. Castren an anderer Stelle vorge-
sehen, so daß sie hier zwar berücksichtigt, aber nicht
ausführlich behandelt werden.

Inschrift und bildliche Darstellung dienten den liberti
gleichermaßen dazu, mit Hilfe der Grabreliefs in den
ausgedehnten Nekropolen für jedermann sichtbar
öffentlich zu repräsentieren. »Omnes hei mei sunt« -
mit diesen Worten am Beginn seiner Grabinschrift
drückte ein C. Caninius Labeo609 genau das aus, was
auch die Bildnisse der Grabreliefs den Verwandten,
Freunden und Fremden mitteilen sollten. »Hier seht
ihr mich und meine (legitime) Familie«. Den Namen
auf den Inschriften konnte man entnehmen, daß
liberti dargestellt waren, die noch kurze Zeit zuvor als
Sklaven keinen rechtlichen Anspruch auf anerkannte
familiäre Bindungen besessen hatten. Um ihren neuen
Rang als - freilich noch in ihren Rechten einge-
schränkte - Bürger zu demonstrieren, lehnten sie sich
in der bildlichen Darstellung an vollplastische Statuen-
galerien an und wählten damit ein Bildschema, wie es
durch die benachbarten mehrstöckigen Grabbauten
und durch die Flut von Ehrungen auf den Fora der
römischen Städte geläufig war. Starr, in der Haltung
von Statuen, waren sie in >abgekürzter< Form von
halbfigurigen Bildnissen nebeneinander aufgereiht. Sie
trugen Toga und Palla und hatten sie so drapiert, wie
es die vertrauten Vorbilder überlieferten. Erst in augu-
steischer Zeit scheint daneben eine zweite Form der
Galerie als Anregung aufzutreten, wenn in einigen
Fällen >echte< Büsten die Darstellungen in halber Figur
ersetzten. Auf diese Weise wurde vielleicht an die

Ahnengalerien der Patrizierfamilien in Büstenform
erinnert, die man als Klient während der Aufwartung
bei seinem Patronus im Atrium hatte sehen können.
Doch nicht nur die Inschrift und das formale Vorbild
verkündeten den neuen Status. Auch die Toga als
solche unterstrich die gerade erlangte Stellung des
Mannes als römischer Bürger. Seine Frau legte dagegen
den Mantel über den Kopf, trug die vitta oder gar die
stola und verwies damit gleichfalls auf ihre neue Rolle,
die sie nun der ehrwürdigen matrona gleichstellte. In
ihrem Falle erweitern damit diese kennzeichnenden
Attribute das übernommene Statuenschema um die
konkreten Zeichen des gesellschaftlichen Aufstiegs.

Im Rahmen der Untersuchung des Materials schließt
sich an die Behandlung der Funktion des Bildtypus die
Frage nach den Gestaltungsformen der Bildnisse selbst
an. Dabei wird deutlich, daß das Individuum vielfach
hinter seinem sozialen Standort zurücktritt. Das trifft
nicht nur für seinen Rang innerhalb der römischen
Gesellschaft, sondern gleichermaßen für seine Stellung
innerhalb des Familienverbandes zu: nicht der Ein-
zelne zählt, sondern seine Rolle innerhalb eines sozia-
len Umfeldes. So bedienen sich Männer wie Frauen
konventioneller Formen und Ausdrucksschemata, die
das individuell Kennzeichnende verwischen. Gerade
die Männerbildnisse zielen dabei, ebenso wie die von
ihnen getragenen Togen, auf das Sachliche, >Römische<
und vermeiden jeden Ausdruck von Emotion. Heftige
Bewegungen, wie sie für bestimmte hellenistische Bild-
nisschemata kennzeichnend sind, werden nicht über-
nommen. Auch die am Einzelstück unverwechselbar
erscheinenden Gesichtszüge eines namentlich genann-
ten Freigelassenen erweisen sich bei der Übersicht
über das ganze Material als weitgehend aus Versatz-
stücken kompiliert. Gesichtstypen und Frisuren, aber
auch bestimmte Faltensysteme und andere Alters-
merkmale werden einem vorgeprägten Repertoire ent-
nommen. Diese entlehnten, konventionellen Formen

609 CIL I2 1216 = VI 14338. Grabbau und Statuen- oder Relief-
schmuck sind nicht überliefert. C. Caninius Labeo ist selbst zwar
frei geboren, hat aber seine liberta geheiratet und ihr damit, in den
Worten der Inschrift, vestem dedit, also wohl die stola als Zeichen
der matrona gegeben. Damit paßt die Inschrift auch von ihrem
sozialen Hintergrund her gut zu unserem Material.

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