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Zentral-Dombauverein <Köln> [Hrsg.]
Kölner Domblatt: amtliche Mittheilungen des Central-Dombau-Vereins — 1865 (Nr. 239-250)

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https://doi.org/10.11588/diglit.1815#0047
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kenS, daß der Mensch dana, wenn er danach trachtet, die hvchste Höhe zn
erreichen, wenn er alle Mtttel anwendet, nm nach seiaer Lusfaffnng den
höchsten CulminationS-Punct anznstreben, dem Riedergaage der Kunst am
nächsten steht. — Dte außerordentlich strenge Orgauisation nnd Gltederung,
welche in den Bauvsrhältntffen Dentschlands und natürlich auch Niederöster-
reichs eingeführt worden war, hatte zur Folge, daß man fich tm Vollbefitze
dieser schönen Organisation, welche so vtcleu Hunderten und Tausendeu eine
fichere Eristenz und einen 'chöaen LebenSberuf gewährte, wohl befand. Der
ursprönglich großs leiteude Gedanke der Aunst wurde vo» den Nachsolgeru
nicht mehr in der rechtsu Weise erfaßt, sondern aus den großen Gedanken
wurde bloß die Travcstie einer Form, and »ach und uach verflachie dte herr-
ltche Kunst in kaltes Formwesen, in Formspielereien, wie wir sie in vielen
hundert Betspielen seben. Somit verfiel auch diese herrliche Kunst ihrem
Schicksale, und m«n darf sich nicht wundern, wenn fie mit dem Schluffe deS
MittelalterS durch das Herannahen neuer Jdeen verdrängt und durch eine
andere Kunstrichtung ersetzt wird.

Bevor ich jedoch diese glanzvollste Epoche der Kunst !n Niederösterreich
verlaffe, erlaube ich mir kurz htnzuweisen auf die Hauptbauwerke, welche
dieser Lxoche angehören; »or allem der weit inS Land hineinrsgende Dom
zu St. Stephan und —ich möchte sagen-in gewiffemSinne deffen Familie,
welche fich beinahe in allen Orte» Riederösterreichs wiederfindet, ES ist da
deinahe kein Dors, keine Stadt, wo nicht irgend etneSpur jener Kunstweise
fich vorfände, Nächst Wien, wo uu» tn der Kirche zu Maria-Stiegen und
anveren Betspiele jener Kunstmeise erhalten find, bieten die Kirche von Heiligen-
Ireuz, im Presbyterium, theilweise die Bauten von Wiener-Neustadt, Deutsch-
Sltenburg, danu vor Ällem die Bauten von KremS und Stei», die Baoten
von Zwettl und andere mehr herrliche Betspiele, welche fich im Eutwnrfe
und tn der AuSführung mit allen Bauten Deutschlands vergletchen können.

Am Schluffe dieser Periode, wo der enge Zusammenhang der getstigen
Gewali durchbrochen wurve, wo der Etrom der Gedaoken, welcher srüher
eingeschloffen war in setn wohlgemauerteS Bett, seine llfer überflutete und
rückhaltSlos Alles mit fich niederriß, wss fich ihm entgegenstellte, mußten
nothwendiger Weise auch auf dem Gebtete der Kunst ähnliche Spmptome
eintreten. ES tritt hier eine Epoche ein, die wir die Renaissauce oder
Wiedergeburt nennen.

Während dte gothische Epoche auSschließlich auf heimatlichem Boden
gro? gewachsen war, während fie auSschlteßlich daS Resultat unsereS geistigen
LebenS durch drei und vier Jahrhunderte war, ist die Renaiffance in all
ihrer Pracht gleichwohl eine fremde, auS Jtalten eingesührte Kunstweise.
Dieses fremde Prtncip dringt neuerdtngs wie der Föhn über die Alpen und
vor seinem glühenden Athem mußten die Formen der gothischen Kunst, so
wie die EiSkrystalle in der Hand zerschmelzen und in dem ewtgen Niveau
deS geschmolzenen EiseS, deS WasserS begraben werden. Und wenn ich daS
sage, hochverehrte Bersammlung, so will ich damit der Renaiffance, dieser
vielleicht nothwendigen Reaction, nichi etwaS UebleS nachsagen, fvndern ich
spreche nur auS: hier hat aufgehört die Kunst der Väter und hat begonnen
etue andsre, einc fremde Kunst mit allen ihren Consequenzen.

Die italienische AnschauungSweise, welche daS heiduisch-clasfische Princip
nie verläuguen konnte, hat fich verbundeu und amalgamirt mil den Con-
structionSweisen unsercS LandeS; wälsche Meistrr, berulen von den deutschsn
Kaisern, kamen über die Alpen und führten Prachtpaläste auf, wovon Prag,
Wien und andere Städte OesterreichS glänzende Beispiele aufweisen. Diese
Wälschen konnten aber nur die leitenden Meister sein und mußten immer
pactiren mit den vorhandene» alten Meistern unsereS LandeS, welche fich
nicht so leichten Sinnes von der angeerbten Kunst vertreiben ließen; und
es ist gewiß wahr daß unsere Gebäude, Kirchen und Schlöffer an und für
fich gewiffer Maßen dieselben geblieben find und daß nur die Decorations-
weise, die äußere GestaltungSform fich geändert, uud die neue Form, das
neue System mit dem alten fich geeinigt hat.

Jn dteser Zeit, im 16. und im Anfange deS 11. Jahrhunderts, war ein
großes geistigeS Leben in unserem Lende; die derühmtesten Gelehrten aller
Schulen hatten fich hier gefunden, und hatten Einfluß genommen auf die
AnschauungSweise deS VolkeS und so mußten auch die Kunstwerke deS VolkeS
dis zu einem gewiffen Grade davon belebt und durchgeistigt sein.

AnderS verhält eS fich mit dem Beginne des 18. Jahrhuuderts. Da
allerdingS ist jede Begeisterung auS der Kunst heraus; da ist der Sinnen-
genuß, der materielle Genuß, der kurze Genuß zur vollsten, überwucherndsten
Herrschaft gelangt.

ES ist cin etgeneS, merkwürdtgeS Symptom, daß, ewig «iederkehrend,
im ewigen Kreislaufe fich wieder findend, die römtsche Kunst z« un« ge-
drunge» ist, immer daS deutsche Leben durchdringend, verdräagend, biS der
naturliche Sinn deS Volke« eiue erneuerte Gegeuströmung hervorrief.

Man würde versucht sein, sehr eigenthümliche Gedanken an dieseS
Factum zu knüpfen, wenn man nicht deuken müßte, und ntcht überhaupt na-
turgemäß die Ueberzeugung hätte, daß eben die Träger dieser Richtung fich
deffea uie vollständig klar gewesen find, und daß ein Mann z. B. vollständig
tm baroksten Stple bauen und doch eiu gutcr Chrtst und ein braver Deut-
scher setn könne.

Jch kann nur sagen, daß a«s dieser letzten Cpoche Oesterreich und speciel
Niederösterreich daS Außerordentlichste und Großartigste befitzt, «aS überhaupt
geschaffen wurde, und wenn ich Mölk und Töttweih uenne, so werdcn
Sie mir da gewiß beipflichtsn. — ES beweist Lbrigens diese Kunstrtchtuag
daS Eine, daß die Einhett deS GedankenS, daS Zusammenwirken der Kräste
stetS unter alleu Umständen GroßeS schafft. Und wena wir diese Kirchen,
Schlöffcr und Häuser betrachten und AlleS, waS die damalige Zeit geschaffen
hat, so müffeu wir staunen Sber die Lonsequenz, welche darin liegt, dte vom
First deS DacheS bis zur Sohle jeden kleinsten Gegenstand einhettlich durch-
aeführt hat, vom Rohbau deS TebäudeS im Großen «nd Gaazen diS znm
kleinsten Neceffair, auf de« Ripptisch; dena derselbe Geist eleganten, letcht-
gefälligen LebenS dnrchzieht daS ganze Gebäude, so daß der Beschauer nn-
^uSbleiblich davon htngertssen sein muß.

Nachdem wir diese Periode kurz durchgesprochen, geheu wir zur ueuesten
«poche uusererKuust. «nd Bauzustände über, welche mtt unseremJahrhuadert
beginnt. Sie werde» mir als ausübeudem Archttekten nicht zumutheu, daß
ich tn die DetailS mich etnlaffe, sondern Lch will anr eiatge Ged-llkea a«S-
spreche», wie fie u»S im großcn Ganze» t» drr »affnhruag uaferer Banwerke
Hrwrgeu.

Nachdem mit de« Falle der ftanzöfische» Revolutton «nd mtt dem Falle
aller Jdeeu, welche fie mit in ihreu Schlund hinabgezoge« hat, naturgemäß
daS Streben nach Einfachheit hervorgetreten war, gegenüber dem über-
wucheruden Zopf, hat man in Bezug auf Knnst, für den Augenblick gewiffer
Maße« befitzlos, umhergetastet, und die nächste Handhabs, die man fand,
war das Studium der clasfischen Architektur. DieseS Studium wurde, «ch
möchte sagen, bis zum Erceß getrieben und man tk darin so weit gegangen,
daß die Renschen fich die Äamea der alten Ciasfiker beilegten; ja, wena
daS Kltma es erlaubt hätte, wörden fie vtelleicht die Toga getragen habe«.

Nachdem die fürchterlichen Kämpfe, welche jene Revolution über ganz
Europa heraufbeschworen hatte, vorüber waren, nachdem die Völker zn einer
ruhtgen Auffaffung ihrer Berhältaiffe gelangt waren, kam im Gefolge des
FrtedenS und Wohlergehens auch die ruhige, kindliche Phantaste uud, ich
möchte sagen, etwas mehr als Phantafis, sogar Phantasterei. Man fing aa,
daS Ritterthum deS Mittelalters in der erorbitantesten Weise zu behaudelu,
und viele Schöpfungen auf dem Gebiete der bildenden Kunst sowohl alS auf
dem Gebiete der Poefie und der Ltteratur im Allgemeinea gebe« Zeugniß
ab für die naive Anschauung, welche damalS über das Wesen und Trerden
deS MittelalterS geherrscht hat. Weit über daS Ziel hinaus wurde geschoffen.

ES war uatürlich, daß gegen diese schwache Anschauung eiuer großen
Bergangenheit auch wieder die Reaction, der Gegenschlag erfolgea mußte;
und so werden in raschem Wechsel, wozu ftüher Jahrhunderte gehört habeu,
heutzutage tn Decennien Wandlnngen in den Anschauungen über K«nst und
in dcn Bestrebungen in der Sunst hervorgerufen, welche uuS zur augenblick-
lichen Stunde wteder dahin geführt haben, dsß jedem, der in der Kuaft
thätig ist, und der Beruf hat, fich die Ueberzeugung aufdrangt, daß, so
«enig alS eS möglich ist, alls Meuschen eineS LandeS zurückzuführen znr eiu-
heitltchen Anschauuug über Zeit und Ewigkeit, zur eiuheitlichen Anschauuug
über alle Verhältniffe deS LebenS, eben so wentg es möglich ist, auf dem
Gebiete der Kunst alle in eine einzige Strömung zurückzuführen. Die Be-
diagungen des LebenS find heutzutage andere gewordea, der eine hat vor
fich daS Ziel deS Höchsten, sein Wirken und Schaffen gehört uicht dieser
Welt, er strebt nach jener Welt; der andere hat vor fich eben gerade diese
Welt im allereigentlichsten Sinne dcS Wortes; den beideu muß geholfe»
werden; fie beide stehen auf verschiedener BafiS und der Architekt, der für
fie arbeitet, muß fich deffen bewußt sein.

Außer dtesen beiden moralischen GefichtSpuncten, möchte ich sage», ist
aber in unserer Zeit noch ein anderer Factor hinzugetceten, und daS ist der
ungeheure, gewaltige, außerordentliche Fortschritt auf dem Gebieie der
Technik. Zn enge Grenzen gefaßt hat unsere vorelterliche Techntk die Mittel
beseffen, und eS tst wunderbar, auS den alteu Lhronisten zu vernehmen, tn
welcher Weise fie ihre außerordentlichen Dome gebaut haden. Wenn man
liest, daß in Köln eine Brücke begann, weit in der Stadt, welche hiaauf-
führte auf die Zinnen deS DomeS und auf welcher mit Lastthieren dte Stetne
htnaufgeföhrt wurden, so werden wir den Unterschied finden gegen dte tech-
aische Fertigkeit, mit welcher wir unsere Bauten ausführen.

Außerdem fiud viele andere Elemente dec Technik eingesührt wordea in
die Kuafi und Architektur, so daß der Architekt, will er allen Anforderungen
gerecht werden, auch diesen Bediugungen Rechnung tragen muß. — llnser
Land wird nach Jahrhunderten vielletcht nicht mehr jenen herrlichen, roman-
tischen Anflug haben, wie wir ihn theilweise, wenn auch in Ruinen, noch
sehen; schwerlich dürften von den Häuptern unserer Berge die schönen Burgrn
niederschsuen — von jeder Kuppe, von jedem Felsvorsprung ein schöues
Bild — oder die kleineu Lapelleu der Landschaft zuc Zierde, den Menschen
zur Andacht gereichen. Sei eS darum! — Wenn das. wie Llles, wa« dnrch
u»S tn rechtem Sinne, in wahrem Streben, mit wirklicher innerer Ueberzeu-
gung geschieht, auch recht ist, weil Gott der Schöpfer aller Dinge uns uichts
Dauerade« gründen läßt im großea Ganzen, was nicht recht ist, so dürfeu
wir überzeugt sein, daß, wenn wir eben tn rechtem, wahren Geiste arbetteu,
nach Jahrhunderten vielleicht, wenn deretnst wieder bei der Landkunde der
Baukunst gedacht wird, auch die Bamverke von Niederösterreich mit Ehreu
bestehen werden.

An nuswnrtige Vereins-Mitglir-er.

Unsere auswärtigen Vereins-Mitglieder und Dombau-Freunde,
welche ihre Jahres-Beiträge zum Fortbau des kölner Domes un-
mittelbar an die Vereins Casse einzahlen und dieselben pro 1865
bisher noch nicht entrichtet haben, ersuchen wir hiermit ergebenst,
die Einsendung baldgefälligft Lewirken zu wollen, damit diese
Beträge noch in die Rechnung vo» 1865 aufgenommen werden
können.

Köln, den 31. December 1865.

Der Verwaltungs-Ausfchuß
des Central - Domba« - Vereius.

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