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Körte, Werner Hermann Ulrich
Der Palazzo Zuccari in Rom: sein Freskenschmuck und seine Geschichte — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 12: Leipzig: Keller, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.47057#0017
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wärtigen wir uns, wer damals allein das einsame Vignen-
gelände des Pincio bewohnte3), ohne auf einer „Spani-
schen Treppe“ den bequemen Zugang zur unteren Stadt
zu finden: die stolze Villa des Kardinals von Montepul-
ciano - die spätere Villa Medici - und das reiche Franzis-
kanerkloster der Trinitä de’Monti lagen einsam auf der
Höhe; und so begreifen wir es wohl, wenn es als ein
kühnes Selbstbewußtsein gelten mochte, daß ein einzelner
durch einen hochragenden Palast mit diesen Mächten in
Wettbewerb treten wollte. Die gegen den Abhang vor-
geschobene Baugruppe hat denn in der Tat, wie es der
urbinatische Gesandte mit feinem Blick empfand, die
Maler immer wieder als Motiv gereizt (Tafel 2). Ein Ge-
mälde der Londoner Nationalgalerie, dem Claude Lorrain
zugeschrieben und ihm jedenfalls sehr nahestehend4), zeigt
den Palast noch in der beherrschenden Lage über dem Ab-
hang des Berges, die er erst einbüßte, als die gegenüber-
liegende Seite der Via Gregoriana mit hohen und immer
höheren Häusern bebaut wurde. Von Licht umflossen ragt
er hier völlig freistehend empor. Von hier aus konnte
Zuccari in der Tat die weite Aussicht über Rom genießen,
die Karel van Mander als einen so sinnvollen Vorzug
dieses Alterssitzes rühmt (vgl. Tafel 43). Der Maler, der
es auf seinen weiten Reisen durch ganz Europa gelernt
hatte, über das Getriebe des päpstlichen Rom hinauszu-
blicken, mochte das Bedürfnis haben, die ewige Stadt nur
noch aus steiler Höhe zu überschauen.
Seit etwa 1490 hatte allmählich, nach fast tausend Jahren,
der Mensch wieder von diesem Hügel Besitz ergriffen, der
im Altertum an dieser Stelle dicht bewohnt und von
Villen bedeckt gewesen zu sein scheint. Die römischen
Funde, die das Grundstück des Palazzo Zuccari jüngst zu -
tage förderte, beginnen etwa in augusteischer Zeit und
reichen bis in die Jahrhunderte des sinkenden Römer-
reiches5). Seit dem frühen Mittelalter hatten sich Felder
und Gärten deckend und bewahrend über diese Wohn-
stätten geschoben; ein Teil der alten Großstadt kehrte
verfallend in den Zustand der Natur zurück, und nur der
aurelianische Mauerring hielt dieses verödende Gelände
noch mit der immer kleiner werdenden Roma verbunden.
Wer in diesen für uns dunklen Jahrhunderten zum Pincio
hinaufstieg, der konnte nur das Kirchlein San Felice in
Pincis zum Ziele haben, in dem Gregor der Große eine
seiner Homilien las. Es stand dort aufrecht bis etwa in
die Jahre, in denen Sixtus V. diese Hügel wieder durch
seine Via Felice erschloß. Rund umher aber herrschte
jahrhundertelang die schweigende Einsamkeit der Cam-
pagna. Und doch schließt sich die Kluft eines ganzen
Jahrtausends, wenn unvermittelt die Stimme der einst hier
Wohnenden zu uns dringt. Sie klingt uns entgegen aus
3) Die ländliche Einsamkeit des Pincio vor der Stadter-
weiterung Sixtus’ V. verdeutlicht der Romplan von Duperac-
Lafreri, 1577. (Vgl. Franz Ehrle, Roma prima di Sisto V., Rom
1908.)
4) Für die Eigenhändigkeit spricht schon rein äußerlich, daß der
Standpunkt des Malers genau der Wohnung Claudes in der Via
Paolina = Via del Babuino entspricht.
5) Vgl. den Katalog dieser Funde im Anhang Kap. 12 p. 65 f.

den zahlreichen Inschriften, die sich in Zuccaris Garten
fanden, aus den Worten etwa, die ein trauernder Gatte
„conjugi dulcissimae et incomparabili“, der jung verstor-
benen Gefährtin auf das Grabmal setzt; denn wir empfin-
den bei der Betrachtung dieser Steine, daß dieser Boden
einst, wie gestern, heute und morgen, von strebenden,
hoffenden und trauernden Menschen bewohnt war.
Die Kunde von den hier verborgenen römischen Villen
scheint noch lebendig gewesen zu sein, als Zuccari sich
auf dem Pincio anzusiedeln beschloß. Denn als er von dem
Gewürzhändler Biagio Stefanonio das Grundstück für
seinen geplanten Neubau pachtete, da setzte der bisherige
Besitzer ausdrücklich eine Bedingung in den Pachtver-
trag: Der Maler sollte wohl alle vorhandenen Baulich-
keiten und auch die Obstbäume übernehmen; was sich
aber künftig etwa noch an Statuen, an Gold, Silber, Perlen
und Blei, an bearbeitetem oder unbearbeitetem Metall dort
finden werde, das sollte ohne Ausnahme dem Vorbesitzer
zufallen. Wir sehen die archäologische Forschung noch
in den Händen der Schatzgräber.
So übernahm Zuccari denn am 18. April 1590 einen
Bauplatz von 217 Ellen Ausdehnung in Erbpacht. Die
Grenzen des Grundstückes wurden folgendermaßen fest-
gesetzt: auf der einen Seite (im Süden) waren es die Be-
sitzungen des Sig. Michele Crotti, auf der anderen (im
Norden) die Piazza della Trinitä de’Monti, auf der dritten
(im Osten) die Via Felice-Sistina, und auf der vierten end-
lich (im Westen) „die andere Straße, die zur Trinitä hinauf-
führt“: die Via Gregoriana6) (vgl. Abb. 1).
Doch nicht die Schönheit des Ortes und seine lichte
Weite allein mögen den Maler veranlaßt haben, den keil-
förmig spitzen Bauplatz zu erwerben, der den Winkel
zwischen Via Gregoriana und Sistina ausfüllte. Auch prak-
tische Gründe sprachen für diese Wahl. Denn Sixtus V.
drängte ungestüm, die großartige neue Straße bewohnt
zu sehen, die er von S. Maria Maggiore her in schnur-
gerader Flucht bergauf und bergab bis nach der Trinitä
de’Monti durchgebrochen hatte und die heute seinen Na-
men trägt. Er verhieß allen denen, die sich dort anzu-
bauen bereit wären, in einer Bulle von 15877) gewisse
Vorrechte und Steuererleichterungen, und eine besondere
Klausel dieses Erlasses stellte allen Künstlern und Hand-
werkern für die Ansiedlung innerhalb einer bestimmten
Frist die dauernde Befreiung von allen Abgaben an ihre
Zünfte und Körperschaften in Aussicht.
Zuccari scheint als erster beschlossen zu haben, aus die-
sen Sondervergünstigungen Vorteil zu ziehen, und seinem
Beispiele sind im folgenden Jahrhundert viele Künstler
gefolgt. Salvator Rosa, später Piranesi und Mengs8) sowie
zahllose andere Gäste aller Nationen haben dicht beiein-
6) Vgl. die Abschrift dieses Pachtvertrages im Staatsarchiv zu
Rom: Dokumentenanhang Nr. 4.
7) Vgl. die päpstliche Bulle im Dokumentenanhang Nr. 3.
8) Salvator Rosa wohnte in der Via Gregoriana Nr. 34, Piranesi
und Thorwaldsen in Via Sistina Nr. 46, Mengs in der gleichen
Straße ungefähr Nr. 68/72. Die Häuser von Poussin und Claude
Lorrain lagen dicht beieinander in der Via Paolina „ad arcum gre-
corum“, d. h. in der Via del Babuino bei S. Atanasio de’Greci.

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