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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung I
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Alexander, Bernát: Über künstlerische Intuition
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0157
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Alexander, Über künstlerische Intuition, Diskussion

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liches und sprachloses Denken und deren Verhältnis, müssen hier unter-
brochen werden. Die Bergsonsche Intuition aber erweist sich als völlig
verfehlt, weil sie die „natürliche“ Natur der Intuition ganz verkennt.
Auch der Differenzpunkt der künstlerischen Intuition soll hier nur
angedeutet werden. Das intuitive Denken ist auf jedem Gebiete das
schöpferische, das Neue findende Denken, hängt aber in seiner Aus-
gestaltung von seinem Material, seinem Ziel und seiner zu leistenden Arbeit
ab. Der Takt gestaltet gesellschaftlichen Verkehr zum Kunstwerk, das
allseitige Befriedigung erregt und würdige, wertvolle Formen des Verkehrs
schafft. Das künstlerische Schaffen bringt Formen hervor, zu deren Aus-
führung die Ausbildung eines höchst verwickelten Bewegungsmechanismus
vonnöten ist; im Mittelpunkt dieses Schaffens aber steht die Intuition, die
die Angemessenheit dieser Formen zu den empfundenen Werten unmittel-
bar erfaßt und im Verlauf der Arbeit das Material diesen Werten ent-
sprechend formt. Auch hier ist Wille, Verstand und Ausführung. Der
Wille ist auf den Wert gerichtet, der intuitive Verstand auf die Formung des
Stoffes, dessen Ausführung der Bewegungsapparat übernimmt. Das Wesen
des künstlerischen Schaffens bleibt so die künstlerische Intuition.
Diskussion:
Herr Heine: Der Begriff der künstlerischen Intuition muß enger begrenzt
werden. Ihre Eigenart besteht in der Zweiheit des Phänomens. Das Erkennen
des Wesens der Dinge, das hinter ihrem Schein, ihrer Geste sich verbirgt, ist der
Teil der Intuition, der durchaus noch nicht spezifisch künstlerisch ist. Das
Erlebnis der rezeptiven Intuition muß erst durch das der produktiven ergänzt
werden. Da es nicht möglich ist, das Wesen eines Dinges unmittelbar im Kunst-
werk zum Ausdruck zu bringen, so muß der künstlerische Schein, die
künstlerische Geste gefunden werden, die den gefundenen Stoff zur künst-
lerischen Anschauung bringt. Erst diese zwei Formen der Intuition, die entweder
gleichzeitig oder in zeitlichen Abständen den Stoff und die Darstellungsmittel
erkennen, machen das Charakteristische der spezifisch künstlerischen Intuition aus.
Herr Alt: Der Widerspruch des Herrn Bernhard Alexander gegen die Aus-
führungen von Herrn Schmied-Kowarzik wäre vielleicht nicht erfolgt, wenn
dieser im Titel seines Vortrages statt „Intuition als Kern des ästhetischen
Erlebens“ gesagt hätte: „als Wesen des ästhetischen Erlebens“ oder dergleichen.
Daß wir eine solche Fähigkeit haben müssen, ist klar, wenn der ästhetische Genuß
überhaupt bei unmittelbarer Anschauung durch das Gefühl und nicht durch dis-
kursives Nachdenken zustande kommen soll. Nach ursächlichem Zusammenhänge
wird hier nicht gefragt. Das eigentliche Organ der Intuition ist offenbar das Gefühl.
Ich bin jedoch der Überzeugung, daß Verstand und Vernunft dabei nicht ganz
unbeteiligt sein können, weil unser Geist ja doch ein einheitliches Ganze ist, dessen
verschiedene Kräfte nur einzelne Seiten seiner Betätigung darstellen. Die
Intuition erscheint mir als ein unmittelbares Verhalten unserer gegenwärtigen
Gesamtpersönlichkeit, wobei blitzschnell die entferntesten Assoziationen zweck-
mäßig ins Spiel treten und vermittelst dessen wir uns auch vom Boden bisheriger
Erfahrungen kraft unserer teleologischen Veranlagung hinaustasten können in
den Bereich des noch Unerfahrenen und noch nicht Dagewesenen.
 
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