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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung I
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Alexander, Bernát: Über künstlerische Intuition
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0156

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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft

nähern uns der Auflösung der aufgeworfenen Frage. Wir sagten aber, die
Hauptsache bei der Erklärung des künstlerischen Schaffens sei, die Einheit
des künstlerischen Gedankens und die Umsetzung des Gedankens in Tat
zu erklären. Gerade das aber leistet die Intuition im Takt, diesem Ausdruck
des gesellschaftlichen Verkehrs.
Das wären nun Andeutungen zu einer phänomenologischen Be-
schreibung des intuitiven Denkens, die uns aber ohne ätiologische Er-
gänzung von sehr geringem Nutzen sind. Sollen wir wirklich die Intuition
als eine eigene, wunderbare Seelenkraft installieren? Wenn nicht als
wunderbare, so doch als besondere? Da wären wir ja dann wieder bei der
Zerstückelung des Seelenlebens in Fähigkeiten und Vermögen, d. h. beim
völligen Bankerott aller Psychologie. Aber muß es uns nicht stutzig machen,
daß niemand mit Intuition geboren wird, daß z. B. der Takt sich allerdings
nicht erlernt, wo er etwa fehlt, daß er aber so wenig völlig fehlt, wie das,
was man überhaupt Verstand nennt, daß er mit der Erfahrung wächst, mit
der Übung sich vervollkommnet, daß er bei der Weltdame seine feinste
Ausbildung im großen Umkreis erfährt, aber auch in der ärmsten Bauern-
hütte Platz findet, wo jene Weltdame gewiß von allen guten Göttern verlassen
dastände? Es widerspräche allen wissenschaftlichen Grundsätzen, die
unzweifelhafte Tatsache der Intuition durch eine eigene „Kraft“, durch ein
„Wunder“ erklären zu wollen. Entweder wir kennen das Denken noch nicht
genau, so daß wir die Intuition bisher auf ihrem natürlichen Platze nicht
entdeckten, oder aber die Intuition ist überhaupt nichts. Die Wahl kann
nicht schwer fallen.
Die Lösung der Frage möge hier nur kurz angedeutet werden. Die
Intuition wird jeder als unvermitteltes Denken charakterisieren. Welche Ver-
mittlung fehlt denn hier eigentlich? Die Sprache. Hierin liegt die Lösung der
ganzen Frage, eine Lösung, die bisher allerdings nicht einmal gesucht wurde,
aber wohl allgemeine Anerkennung finden muß. Intuition ist kein be-
sonderes Denken, es ist ein Denken ohne Sprache, auch ohne jene leise
Sprache, die unser artikuliertes Denken begleitet. Es ist absolut sprachloses
Denken. Es ist eben darum kondensiertes Denken, während sprachliches
Denken gleichsam auseinandergebreitetes Denken ist. Es ist unbewußtes,
d. h. minimal bewußtes Denken, weil erst das Wort den Gedanken uns selber
voll bewußt macht. Es ist einheitliches, auf das Ganze bezogenes, gleichsam
unteilbares Denken. Es ist also gar nichts Übernatürliches darin, es ist das
eigentliche Denken, das mit dem sprachlichen Denken in wunderbar merk-
würdiger Weise sich verschlingt. Das sprachliche Denken breitet das aus-
einander, was ein konzentrierter Denkakt, ein Einheitliches ist. Die Intuition
scheint uns unfehlbar, weil sie unserem bewußten Willen entzogen ist, sie
scheint es aber nur, weil sie natürlich ist und bis zu einem gewissen
Grade immer im Rechte ist. Sie ist kritiklos; Kritik kommt erst dem
bewußten, dem sprachlichen Denken zu, das den Gedanken ins Licht stellt,
analysiert, gleichsam vergrößert und seine Fehler zu entdecken imstande
ist. Aber diese Untersuchungen über das Denken überhaupt, über sprach-
 
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