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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung I
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Meyer, Theodor: Die Persönlichkeit des Künstlers im Kunstwerk und ihre ästhetische Bedeutung
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0214

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208

Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft

Theodor A. Meyer:
Die Persönlichkeit des Künstlers im Kunstwerk und ihre
ästhetische Bedeutung ϋ
Zwei Erscheinungen der modernen Kunstentwicklung sind der Inhalts-
ästhetik, wie sie auch noch heutzutage durch hervorragende Gelehrte ver-
treten wird, besonders gefährlich geworden: die L'art-pour-l'art-Kunst mit
ihrer Wiedergabe des inhaltlich Nichtigen und die zunehmende Vorliebe
für die Darstellung häßlicher Gegenstände. Angesichts dieser Bestrebungen
fällt es schwer, den Grundgedanken der Inhaltsästhetik aufrecht zu erhalten,
daß uns die Kunst in den von ihr dargestellten Gegenständen einen erleb-
baren geistigen Inhalt vermittelt, und auch die weitere Lehre, die sich
zumeist an jenen Gedanken anschließt, erscheint bedroht, die Lehre, daß
sich dieser Inhalt von anderen geistigen Inhalten unseres Bewußtseins
dadurch unterscheidet, daß er schön ist. Deshalb haben die Versuche nicht
aufgehört, das ästhetische Grunderlebnis als vom Gegenstand unabhängig
zu begreifen und es aus Formverhältnissen oder aus Wirkungen, die von
der Darstellung allein ausgehen, wie der Illusion abzuleiten. Indes, so gewiß
Formverhältnisse, zu denen auch die Illusion gehört, ästhetisch wirksam
sind, so wenig kann doch ein inhaltliches Prinzip der Kunst entbehrt werden.
Ohne ein solches Prinzip kann nicht einmal die geheimnisvolle Tiefe, die
auch der Artistenkunst eigen ist, verstanden werden, geschweige denn
inhaltlich-gegenständliche Schöpfungen von höchstem Gehalt, wie etwa
Goethes Faust. Auch das ästhetische Wohlgefallen, das die Darstellung
des Häßlichen erwecken kann, findet in Formverhältnissen keine befrie-
digende Erklärung.
Die Lösung beider Schwierigkeiten ist da, sobald man beachtet, daß
ein geistiger Inhalt dem Kunstwerk nicht bloß zufließt aus dem Gegenstand,
den es darstellt, sondern immer zugleich auch aus der Persönlichkeit des
Künstlers, die aus dem Kunstwerk geheimnisvoll zu uns spricht. Der
Künstler haucht seine Seele dem Kunstwerk ein. Sie ist wirksam nicht bloß
in der Wahl des Gegenstandes und in der inneren Gestaltung, die er ihm
gibt, sondern auch in der äußeren Form, in der Anordnung und in den zur
Verwendung gebrachten Ausdrucksmitteln. Wohl geht die Umsetzung der
Wirklichkeit ins Künstlerische nach bestimmten Formgesetzen vor sich,
aber diese Formgesetze lassen in ihrer Allgemeinheit der Persönlichkeit

*) Der vollständige Vortrag· (in erweiterter Fassung) wurde im Januarheft Ί9Ί4
der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft veröffentlicht.
 
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