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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung III
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Kayssler, Friedrich: Das Schaffen des Schauspielers
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0398

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392

Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft

9. Oktober, nachmittags 4 Uhr
Verhandlungsleiter: Herr Walzel
Friedrich Kayßler:
Das Schaffen des Schauspielers
Ich bin aufgefordert, an dieser Stelle über das Schaffen des Schau-
spielers zu sprechen. Da ich von Natur nicht Theoretiker, sondern aus-
übender Künstler bin, so wird das, was ich sage, vorwiegend subjektiven
Charakter haben müssen. Ich werde in allen Hauptpunkten zum mindesten
immer von dem ausgehen müssen, was ich an mir selbst erfahren habe.
Dies ist um so selbstverständlicher, als wir Schauspieler ja selber mit Haut
und Haar das Material sind, mit dem wir arbeiten. Aber ich werde trotzdem
versuchen, den Grad von sogenannter Objektivität anzustreben, der für den
aktiven Künstler erreichbar ist.
Bei der Kürze der Zeit wird es nur möglich sein, gewissermaßen die
Gipfelpunkte in unserer Kunst zu berühren. Die Übergänge von einem
zum andern, die Täler und vielverzweigten Wegnetze, die sie verbinden,
werden zumeist nur im Fluge angedeutet werden können.
Das Ausdrucksmittel der Schauspielkunst, unser natürliches Instrument,
heißt: Mensch, oder genauer gesprochen: Ich, und unsere Aufgabe ist es,
durch dieses Mittel das große, gewaltige, weltbewegende Instrument
Mensch, das in uns allen, die wir Zusammenleben, schlummert, zur Stimme
zu erwecken. Nur von der Schauspielkunst, die diesem Ziele dient, nicht
von ihren Nebenkünsten, will ich sprechen.
Es wird gut sein, mit dem Versuch zu beginnen, an der Hand des
konkreten Falles festzustellen, wie eine schauspielerische Leistung ungefähr
entsteht. Nach meinen Erfahrungen ist der Vorgang etwa folgender: Man
liest das Stück, und gleich beim ersten Lesen steht die darzustellende
Gestalt in ihren stärksten Umrissen und tiefsten Momenten, also in allen
wesentlichen Punkten, klar vor einem. Ich spreche nur von Fällen, wo es
sich um eine wirkliche dramatische Dichtung, um dichterisch gestaltete
Vorgänge handelt. Mangelhaft gearbeitete Stücke geben natürlich weniger
klare Eindrücke beim ersten Lesen. Einem normalen Stück gegenüber ist
der erste Eindruck der maßgebende. Der weitere Verlauf der Arbeit ist
gewöhnlich der: Das Stück wird auf der Bühne arrangiert, d. h. ehe die
Schauspieler anfangen zu lernen, werden alle Stellungen und die Haupt-
 
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