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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung I
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Alexander, Bernát: Über künstlerische Intuition
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0150

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144

Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft

Bernhard Alexander:
Über künstlerische Intuition
Es handelt sich hier um einen Beitrag zur Einsicht in die Psychologie
des künstlerischen Schaffens, und bei der Ausdehnung und Verwickeltheit
des Problems kann vorläufig nicht viel mehr geboten werden als gleichsam
eine vorläufige Anzeige, der hoffentlich bald eine ausführliche Darlegung
folgen kann. Der Schwerpunkt dieser Anzeige liegt im Begriff der Intuition,
dessen zentrale Bedeutung für die Psychologie des künstlerischen Schaffens
dargelegt werden soll. Zu diesem Zwecke aber muß der Begriff der Intuition
selber aus der Sphäre der Unbestimmtheit, in der er sich befindet, heraus-
gehoben werden. Auf die Literatur des Gegenstandes, auf Polemik und Zu-
stimmung kann vorläufig selbstverständlich nicht eingegangen werden.
I.
Zwei Voraussetzungen werden gemacht, ohne deren Annahme die nach-
folgenden Ausführungen jede Bedeutung verlieren. Auf den Beweis der-
selben hier einzugehen, ist unmöglich, aber vielleicht auch unnötig, da sie
in weiten Kreisen allgemein zugestanden werden. Die erste mag in folgender
Weise formuliert werden:
1. Die schaffende künstlerische Kraft, so eigentümlich und großartig
auch ihre Leistungen und Werke sein mögen, darf nicht als eine besondere,
einheitliche, gerade auf diese Wirkungen angelegte Fähigkeit der Seele
angesehen werden; die ihr zugeschriebenen Werke entstehen durch eine
Steigerung, Ausbildung und Kombination allgemeiner seelischer Phänomene.
Man nennt die Fähigkeit, künstlerische Werke zu schaffen, Phantasie;
der einheitliche Name soll eine einheitliche Kraft bezeichnen; nach der
ersten Voraussetzung aber ist Phantasie nichts Einheitliches und Beson-
deres; die Phänomene der Phantasie finden sich bei jedem Menschen, nur
nicht in demselben Maße, in derselben Ausbildung und derselben Verbin-
dung mit anderen Phänomenen. Man braucht deshalb nicht den ohnehin
aussichtslosen Versuch zu machen, unseren Sprachgebrauch ändern zu
wollen. Die Sprache folgt praktischen Rücksichten. Für sie ist es von Wich-
tigkeit, jene Form des Seelenlebens zu kennzeichnen, der so ausgezeichnete
Leistungen entspringen. Wir können sie sehr wohl hierin gewähren lassen,
müssen aber darauf bedacht sein, auch auf diesem Gebiete den Begriff einer
besonderen Kraft als deus ex machina, die uns ja keinen Schritt vorwärts
bringt, auszumerzen und die verwickelten Phänomene, um die es sich hier
handelt, in ihre einfacheren Bestandteile zu zerlegen.
2. Diese Analyse aber bedeutet nicht eine mechanistische Erklärungs-
weise der künstlerischen Tätigkeit, ein Auf geben der Einheit derselben,
eine Zurückführung dieser Einheit auf eine mechanisch zustande gekom-
mene Zusammensetzung eines Vielfältigen. Die künstlerische Tätigkeit ist
einheitlich, aber nicht als eine eigene, besondere, da vorkommende, dort
fehlende Kraft der Seele; die Einheit der künstlerischen Kraft ist nichts
anderes als die Einheit des künstlerischen Bewußtseins, des künstlerischen
 
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