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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung III
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Walzel, Oskar: Tragische Form
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0394

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388 Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft


Oskar Walzel:
Tragische Form *)
Die neueren Bemühungen, vom Standpunkt kunstgeschichtlicher
Betrachtung der Form der Dichtung näherzukommen, dürfen sich, soweit
das Drama und die Tragödie in Betracht kommt, nicht beirren lassen durch
den Einwand, daß formale Gesichtspunkte in der Erwägung der Technik
des Dramas zu Äußerlichkeit und Vielseitigkeit führen (Volkelt) oder daß
Form Daseinsweise des Inhalts und daher von diesem nicht zu trennen sei
(Lipps). Vielmehr zeigt schon die gesetzgebende Ästhetik unserer Tragiker,
daß Erwägungen, die von der Form absehen und das innere Wesen des
Tragischen erfassen wollen, zu einseitigen und nur für eine enge Gruppe
von Dramen verwertbaren Aufstellungen führen. Denn sie fußen nicht auf
den Voraussetzungen, die von den technischen Notwendigkeiten der Bühne
geboten werden, sondern auf Weltanschauungen und auf der Auffassung
von Willensfreiheit, die der einzelne vertritt. Können so die Bestimmungen
des Tragischen, wie sie etwa von Schiller oder von Hebbel versucht wurden,
fast nur zur Ergründung der Kunstwerke und der künstlerischen Persönlich-
keit Schillers oder Hebbels verwertet werden, so bietet eine Betrachtung der
Form der Tragödie, auch wo sie von einem Dichter oder einem Theoretiker
auf der Suche nach der besten Tragödie angestellt wird, historischer
Betrachtung eine Fülle von Gesichtspunkten. Goethes und Schillers Ver-
such, die Form der Tragödie aus der Tatsache abzuleiten, daß der Mime
sie darzustellen, nicht der Rhapsode sie zu erzählen hat, ist ein fruchtbarer
Anfang (vgl. Müller-Freienfels, Dessoirs Zeitschrift VIII, 177 ff.). Doch
auch schon die formalen Begriffe, mit denen Aristoteles arbeitete und die er
seinen Nachfolgern weitergab (Synthesis, Peripetie usw.), lassen uns an
wesentliche Eigenheiten der Tragödie näher herankommen. Nur bleibt
immer die Gefahr bestehen, daß diese Formbegriffe zu intellektuell und
zu logisch, im Sinn einer Kausalität der Abfolge, genommen werden. Um
so mehr ist auf die ästhetischen Elementargefühle zu achten, die von der
Tragödie ausgelöst werden, auf die Harmoniegefühle, die der musikalischen
Wirkung, auf die Gestaltgefühle, die der Architektonik des Dramas ent-
stammen. Verhältnismäßig selten werden sie in der Literatur berücksichtigt.
Hierher gehören die Prinzipien ästhetischen Kontrastes, die R. Lehmann
aufstellt, oder der Begriff des tragischen Pathos, den Minor bei Schiller
beobachtet. Auch wenn Volkelt den Gegensatz einer Dramatik blitz-

?‘) Hier erscheint nur ein kurzer Auszug aus dem Vortrag, der vollständig in
der Internationalen Monatsschrift Ί9Ι4 Heft I, 2 abgedruckt ist.
 
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