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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung III
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Scholz, Wilhelm von: Das Schaffen des dramatischen Dichters
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0393

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von Scholz, Das Schaffen des dramatischen Dichters, Diskussion 387

Herr B a b erklärt, daß er den Ausführungen von Wilhelm von Scholz nichts
entgegensetzen, sie aber von bestimmten Standpunkten neu beleuchten möchte.
Der wesentlichste und aufschlußreichste Punkt der Scholzschen Ausführungen sei
für ihn gewesen, daß nach Scholz ein Schicksal und ein Charakter im Zeugungs«
kern einer dramatischen Schöpfung ständen. Richtig verstanden sei dies geeignet,
einen der verhängnisvollsten Irrtümer der heute geübten Dramaturgie zu
entkräften. Dieser Irrtum schließe an eine Äußerung von Otto Ludwig an, nach
der der Ausgang des dramatischen Schaffens die Vision einer ganz bestimmten
Gestalt in einer ganz bestimmten Haltung sei. So habe Ludwig seinen Erbförster
zum ersten Male in charakteristischer Tracht in einem grünen Licht stehen sehen.
Wenn man solche Vision aber zum Kriterium dramatischer Inspiration überhaupt
mache, so übersehe man dabei den wesentlichen Umstand, daß Otto Ludwig eben
eigentlich gar kein Dramatiker war, sondern ein Epiker, und nur wegen seines
vergeblichen und verzweifelten Ringens mit der dramatischen Form auch ein
glänzender Dramaturg. Weil er aber zunächst optisch ruhende, in sich geschlossene
Gestalten gesehen und für sie dann erst nachträglich Bewegungsmotive aufgesucht
habe, eben deshalb hätte er im wesentlichen nur einen Berg von Fragmenten, von
fruchtlosen Versuchen zum Drama, statt wirklich lebendiger Dramendichtungen
hinterlassen. Die dramatische Vision nämlich könne nie von einer Gestalt an sich
ausgehen — eher schon von einer Mehrheit in bestimmter Weise zueinander
stehender Gestalten, das heißt von einer Bewegung, einem Spannungs-
ausdruck. Wahrer sei deshalb der Ausdruck, daß der Dramatiker von einer
„Idee“ ausgehe, nur sei die theoretische, abstrakte Färbung dieses Wortes
gefährlich. Mit Recht sage Hebbel, daß die Entscheidung für die Echtheit eines
Dichters darin zu finden sei, daß ihm die Gestalten früher gegenwärtig sein müßten
als die Idee. Aber auch dieser Ausdruck sei nur insofern richtig, als man unter
Idee die abstrakte Widerspiegelung eines Weltverhältnisses zum Bewußtsein
verstehe. Der Dichter erlebe Ideen, Weltverhältnisse eben im Symbol bestimmter
Gestalten. Der Wahn, daß hier wie irgend wo in der Kunst Form und Inhalt zu
trennen sei, müsse zerstört werden. Das Weltgefühl, von dem auch der
dramatische Dichter zeugen wolle, gebe sich eben nur in seiner Vision von
„Charakter und Schicksal“ völlig; in jeder anderen Sprache könne man sich der
eigentlichen „Idee“ des Dichters nur sehr von weitem nähern — sonst könnte die
philosophische Paraphrase, der kritische Bericht ja ein Drama seinem Lebenswert
nach ersetzen. Hier wie bei aller ästhetischen Betrachtung komme es wohl zuletzt
darauf an, zu wirklich bewußtem Besitz den Tiefsinn des Goetheschen Wortes zu
machen, daß Natur weder Kem noch Schale habe.

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