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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung III
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Scholz, Wilhelm von: Das Schaffen des dramatischen Dichters
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0392

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386

Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft

überlegen ist und ihm nur vielleicht in der rein zeichnerischen Technik
nachsteht. Endlich darf man nie übersehen, daß eine Reihe von tieferen Motiven
des Kunstschaffens auch beim bewußtesten Künstler im Unbewußten verharren
bleibt, wie speziell die rhythmisch-melodischen Studien von Sievers indirekt
beweisen oder die Psycho-Analyse in größerem Stile dartut. Eine umfassende
Analyse des künstlerischen Schaffens wird aber an diesen Dingen nicht vorüber-
gehen dürfen.
Im übrigen läßt sich aus Selbstdarstellungen der Dichter auch über ästhetische
Fragen an das Werk mit Vorsicht einiges ablesen. Mögen diese Fragen auch
nicht wissenschaftlich geschickt gestellt sein, so werden sie doch heutzutage eifrig
diskutiert: ob das Drama seinen Wert in durchgebildeten Charakteren, lebens-
wahrer Gestaltung oder mehr in einem zweckmäßigen Gefüge von Auftritten, in
„konstruktiven Elementen“ findet. Hierfür ist es gewiß nicht belanglos, zu erfahren,
welche Seite des Werkes der Künstler vor allem intendiert. Ist das Leitbild des
Schaffens eine Aufführung, wie Herr Bloem zu meinen schien, oder ein phantasie-
mäßig angeschautes und der Phantasie dargebotenes Erlebnis, dessen Lebenswerte
— auf diese kommt es allein an — erfaßt und verarbeitet werden können, ohne
weitere Hilfsmittel? Wenn der gehörte Vortrag überhaupt eine Antwort zuläßt,
dann ist es die, daß im Leitbild des Schaffens die Aufführung und die Wirkung
der Aufführung auf den Zuschauer kaum eine leisest fühlbare Rolle spielt.
In wie hohem Grade übrigens das dichterische Schaffen Scholzens die Nach-
bildung seelischer Erlebnisse und eine leidenschaftliche Charakteristik der
Gestalten, wie verhältnismäßig wenig es jene konstruktiven Elemente des Aufbaues
intendiert, welche jetzt oft so unbillig in den Vordergrund gerückt werden, dies
würde eine Statistik über seine Selbstdarstellung mit Leichtigkeit beweisen. Fast
alle starken Akzente des Vortrages fallen auf Stellen, welche sich mit der
Ausbildung der Charaktere und Leidenschaften, mit der Erzielung der größt-
möglichen Affektwahrheit befaßt. Und auch rein zahlenmäßig überwiegen
diejenigen Sätze, welche sich mit dem psychischen Gehalt der dramatischen
Intention befaßten, weitaus diejenigen, welche die konstruktive Arbeit bedachten.1)
Es ist von Herrn Reicke bemerkt worden, daß die Vorführungen der russischen
Schauspieler bewiesen, wie das Drama sich in der Aufführung allein erweise und
vollende. Dieser Satz könnte gegen die eben gemachte Aufstellung sprechen.
Indes darf man nicht übersehen, daß der Vorzug der Russen war, daß die Schau-
spieler die selbstlosesten Diener des Wortes waren, welche wir je gesehen haben,
Das gesamte russische Schauspiel war nichts als ein großer Beweis dafür, daß
allein der Dichter, über dessen Sprache man das Schauspiel als Schauspiel
vergessen konnte, dasjenige Ästhetische schuf, dessen Eindruck uns bewegt, und
eben dieses hielt sonderbarerweise Herr Reicke für nebensächlich. Ein Vortrag
wie der Scholzsche beweist, daß allein vom Dichter das Wesentliche aller
dramatischen Wirkung ausgeht, das Drama verliert an seinem Optimum, welches
in der Phantasie geschaut und nacherlebt wird, in jedem Falle dann, wenn es aus
dem Menschlichen zum Allzumenschlichen wird, zum Theater.

*) Der Diskussionsredner gab an dieser Stelle eine größere Zahl von wörtlich
zu Papier gebrachten Zitaten aus dem Scholzschen Vortrag, welche eine in aller
Eile und etwas oberflächlich aufgemachte statistische Übersicht ergab. Sie bleiben
hier unangeführt, da die Leser des Berichts den Vortrag selbst daraufhin ansehen
können.
 
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