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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung III
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Scholz, Wilhelm von: Das Schaffen des dramatischen Dichters
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0391

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von Scholz, Das Schaffen des dramatischen Dichters, Diskussion

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erzogenen Generation, der nicht Verkünder verschwommener Visionen,
sondern Raumkünstler, Gestalter ist, aus dem Schüler der Bühne ihr
Meister geworden sein, sie praktisch beherrschen, wie der Bildhauer Ton,
Wachs und Stein, ihre technischen und sonstigen Mittel, vor allem den
Schauspieler, kennen und lieben, muß ein Werk einrichten und Regie
führen können. Nicht um das immer auszuüben, wohl aber, um das Instru-
ment, auf dem er spielt, immer sicherer, unbewußter, instinktiver in seiner
Vorstellung zu tragen, um aus den Möglichkeiten des Materials ebenso
Schaffensanregung und -bereicherung zu ziehen wie aus den Lebens-
wirklichkeiten, die ihn umgeben. Ich glaube, daß die eine Halbkugel der
inneren Shakespearischen Welt die Bühne war, sicher nicht minder groß
als die andere, das Leben.
Lassen Sie mich zum Schluß das spezifische Schaffen des dramatischen
Geistes noch einmal so zusammenfassen: es ist ein inneres Erleben, in
welchem jede Vorstellung eine Gegenvorstellung wie ihren Schatten zeugt,
die mit ihr wächst, in die plötzlich das Leben überspringt; es ist ein
Dialog von Willen, den — entgegen den Dialogen von Meinungen — ein
anderer führt als die Zwiesprach haltenden: unvorberechnetes Sichergeben,
Zufall, Schicksal; es ist eine Debatte ganz unlogischer, halb oder ganz
antithetischer, vielleicht in sich sinnloser, aber ihr Dasein behauptender
Wirklichkeiten, nicht mit Gründen, sondern mit Kräften. Es ist nicht das
Durch- und Zuendedenken einer Sache, sondern das Gegeneinandervor-
stellen ihrer Möglichkeiten, der innere Prozeß nicht eines harmonischen
klaren Menschen, sondern der auf- und absteigende Atem eines nach
jeder errungenen Harmonie wieder mit sich zerfallenden, nach jeder als
Drama geschaffenen Klarheit wieder in Dunkel sinkenden, seine Konflikte
schließlich nie mehr anders als durch raumhafte Gestaltung überwindenden
Menschen.
Diskussion:
Herr Schumann: Die Aufgabe, über Selbstzeugnisse eines Dichters zu
diskutieren, gehört an sich zu den schwierigsten. Zu „widerlegen“ ist natürlich
nichts, und eine Ergänzung könnte nur auf Grund umfangreicher Vorbereitungen
stattfinden. Es sei darum nur kurz hingewiesen auf einige Fehlerquellen, welche
in solchen Selbstdarstellungen, selbst wenn sie so reichhaltig und glänzend sind wie
die gehörte, fast regelmäßig wiederkehren. Man muß sich vergegenwärtigen, daß
häufig dasjenige, was wir am vollendeten Werk als ausschlaggebend wichtig
empfinden, vom Künstler selbst, dem es das Selbstverständliche bedeutet,
gering geschätzt wird (ein typisches Beispiel hierfür und für die korrelative Über-
schätzung des verhältnismäßig Nebensächlichen bieten die bedeutenden
theoretischen Schriften von Arno Holz). Dagegen findet man häufig in Künstler-
poetiken eine Überschätzung desjenigen, was gerade dem einen Künstler selbst
besondere Schwierigkeiten macht, wiewohl es vielleicht von relativ gar nicht so
hoher Wichtigkeit ist. Bezeichnend dafür ist etwa Max Klingers außerordentliche
Wertschätzung der Zeichenkunst Otto Greiners, den er gelegentlich über sich
selbst stellte, wiewohl er selbst ihm in allen künstlerischen Funktionen

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