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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung II
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Cornelius, Hans: Zur Ansichtsforderung in Architektur und Plastik: (Auszug)
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0272

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266

Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft

Hans Cornelius:
Zur Ansichtsforderung in Architektur und Plastik
(Auszug) *)
Der Vortragende erinnert zunächst an die früher von ihm gegebene
Begründung dafür, daß bildende Kunst Gestaltung fürs Auge ist;
Sehen ist nicht bloß passives Aufnehmen der von den Dingen zurück-
geworfenen Lichtstrahlen, sondern ist Erkennen durchs Auge, — ein
Erkennen, für dessen tatsächliches Gelingen in dem nachträglichen Vor-
handensein oder Nichtvorhandensein einer Vorstellung des gesehenen
Gegenstandes als Ergebnis des Sehens die exakte Kontrolle gegeben ist.
An einfachen Beispielen wird weiter gezeigt, wie die Gestaltung der
Ansicht eines Dinges für solche Erkenntnis günstig oder ungünstig sein
kann und von welchen Haupteigenschaften der Ansicht dieser Unterschied
abhängt. Eben dieser Unterschied ist es, den der Vortragende mit dem
Namen der charakteristischen und der nichtssagenden
Ansichten bezeichnet. Als künstlerische Aufgabe ergibt sich hieraus
allgemein diejenige der Gestaltung charakteristischer Ansichten; das wich-
tigste Merkmal derselben besteht darin, daß sie den Gegenstand in ein-
heitlicher Weise erkennen lassen, d. h. so, daß der Beschauer diese
Erkenntnis nicht erst aus einer Menge verschiedener Erkenntnisse zu-
sammensuchen muß.
Für dreidimensionale Gegenstände — um diese handelt es sich dem
Thema gemäß — bestimmt diese Forderung sich näher dahin, daß der
Gegenstand mindestens von einer Seite her eine Ansicht aufweisen muß,
die dem Beschauer die Erkenntnis des Gegenstandes gewährt, ohne daß er
dazu noch der Hinzunahme weiterer Ansichten bedarf. Eben diese Forde-
rung ist mit der Ansichtsforderung in Architektur und Plastik gemeint.
Nicht etwa durchgängige Klarheit der Raumwirkung, wie gegenüber
einem öfter aufgetretenen Mißverständnis hervorzuheben ist, sondern
spontan eintretende einheitliche Auffassung des Gesehenen soll
durch die Erfüllung dieser Forderung dem Beschauer gegeben werden.
Solche Erfüllung ist, soweit es sich um „darstellende Kunst“ handelt,
von einem Kritiker in der Weise vorgeschlagen worden, daß man eben die
„charakteristischen Ansichten der betreffenden Naturgegenstände“ auszu-
wählen und nachzubilden habe. Dieser Vorschlag ist schon deswegen sinn-
los, weil sich bei Naturgegenständen in der Regel keine charakteristischen
Ansichten finden; vor allem niemals bei so komplizierten Formen, wie es

x) Der Vortrag ist in ausführlicherer Fassung in der Zeitschrift für Ästhetik
und Kunstwissenschaft, 1914, II, S. 162, erschienen.
 
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