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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung III
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Fischer, Otokar: Über den Anteil des künstlerischen Instinkts an literarhistorischer Forschung
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0345

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Fischer, Über den Anteil des künstl. Instinkts an literarhistorischer Forschung 339

Abteilung III
7. Oktober, nachmittags 3 Uhr
Verhandlungsleiter: Herr Harnack
Ottokar Fischer:
Über den Anteil des künstlerischen Instinkts an
literarhistorischer Forschung ϋ
Zwischen künstlerischem Trieb und wissenschaftlichem Erkenntnis-
drang bestehen scharfe Gegensätze, deren Intensität noch dadurch
gesteigert wird, daß sowohl im Künstler als im Gelehrten beiderlei polare
Strebungen wirksam sind. Ein Forscher hat sich von sachlichen Gesichts-
punkten leiten zu lassen, zugleich soll er aber auch künstlerisches Ein- und
Nachfühlungsvermögen besitzen: erst durch die Verquickung der zweierlei
Veranlagung wird er befähigt, eine Dichtung in ihrem vollen poetischen
Gehalt zu erfassen und sie in die richtige geschichtliche Beleuchtung zu
rücken. Hiermit ist jedoch die wahre Antinomie im Berufe eines Literar-
historikers angedeutet, da in ihm Wissenschaft und Kunst in eines zu
verschwimmen drohen. An die Scheide zwischen Geschichte und Philo-
logie, zwischen Psychologie und Ästhetik, zwischen Einst und Jetzt gestellt,
geraten die historischen Erforscher des Schrifttums in einen schmerzlichen
Zwiespalt, da sie gegen das Überwuchern ihrer eingeborenen Instinkte auf
der Hut sein müssen. Daher das Zwitterhafte, oft Verstimmende und
Beklemmende, das sich durch Bekenntnisse mancher Künstler-Philologen
und am deutlichsten durch die Entwicklung des „kentaurisch“ veranlagten
Friedrich Nietzsche belegen läßt.
Die künstlerischen Instinkte eines Literarhistorikers pflegen sowohl für
die Behandlung als für die Auswahl eines zu erforschenden Gegenstandes
richtunggebend zu sein. Sie führen zu der Bevorzugung eines Dichters,
mit dem sich der Historiker geistesverwandt fühlt; sie rücken besonders

1) Das hier Abgedruckte ist nur ein Auszug aus dem Vortrag, der sich voll-
ständig in der Zeitschr. für Ästhetik u. allgem. Kunstwissenschaft, Januarheft 1914,
S. 96—108, findet.

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