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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung III
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Müller-Freienfels, Richard: Das Ich in der Lyrik
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0348

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342

Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft

Richard M ü 11 e r-F r e i e n f e 1 s :
Das Ich in der Lyrik
Über das Problem des Ich in der Lyrik ist natürlich nicht zu sprechen,
ohne daß, wenigstens in großen Zügen, eine Verständigung über das Wesen
des Ich überhaupt vorausgegangen ist.
Nun weiß jeder, der sich je mit philosophischen Dingen beschäftigt
hat, daß wir damit an eines der dunkelsten Probleme der ganzen Philo-
sophie rühren, ein Problem, das in gleicher Weise die Metaphysik und
Erkenntnistheorie wie die Psychologie beschäftigt hat.
Jedermann von Ihnen weiß, wie sehr die Schätzung dieses mit drei Buch-
staben bezeichneten, scheinbar so einfachen Begriffes geschwankt hat.
Während manche Erkenntnistheoretiker das Ich gleichsetzten mit der
Welt schlechthin und die Möglichkeit eines Nichtich nur als Schöpfung
des Ich gelten lassen wollten, haben andere das Ich überhaupt geleugnet.
Machten jene die ganze Welt zum Subjekt, so machen diese alles
zum Objekt.
Indessen nicht diese metaphysischen Fragen beschäftigen uns hier,
sondern nur das Ich als psychologisches Problem. Freilich,
wenn wir die Psychologen befragen, so finden wir, daß die Einigkeit unter
ihnen nicht viel größer ist als die unter den Metaphysikern. Denn jene
metaphysischen Fragen spielen auch hier herein und kehren wieder unter
der anderen Fragestellung des Psychologen. Auch hier haben wir Denker,
die alle Bewußtseinsphänomene als objektiv, und solche, die alle als
subjektiv fassen wollen. Aber beide begehen den logischen Fehler, daß
sie einen Begriff ohne Gegenbegriff bilden, wodurch er in sich selber
hinfällig wird. Von ichhaften Dingen zu reden hat nur Sinn, wenn man ihnen
nicht ichhafte entgegenstellt, und wir müssen darum versuchen, unter den
psychischen Phänomenen das Ich von allem, was nicht dazu gehört, zu
sondern.
Eine wichtige Klärung hat das Ichproblem durch die Untersuchungen
K. Österreichs erfahren, der sich bemüht hat, innerhalb der Bewußtseins-
phänomene die „ichhafte n“ von den „n i c h t i c h h a f t e n“ zu
sondern. Und zwar kommt er, kurz gesagt, zu dem Ergebnis, daß vor allem
das Gefühl, ferner die Funktionen des Wahrnehmens, Vorstellens
usw. ichhafter Natur sind, während er die Inhalte des Wahmehmens,
Vorstellens, die Begriffe, als objektiv bezeichnet. Ichhaft sind also vor allem
die Gefühlserlebnisse. Der Vorstellungsinhalt dagegen wird zum
Unterschied davon als die Persönlichkeit bezeichnet.
 
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