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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Erste Allgemeine Sitzung
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Dessoir, Max: Eröffnungsrede: erste allgemeine Sitzung, 7. Oktober, vormittags 9 1/2 Uhr
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0048

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42

Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft

Erste Allgemeine Sitzung
7. Oktober, vormittags 9Va Uhr
Verhandlungsleiter: Herr C. Stumpf
Max Dessoir:
Eröffnungsrede
Meine Damen und Herren I Nachdem ich Ihnen gestern von der
äußeren Vorgeschichte unseres Kongresses gesprochen habe, will ich heute
versuchen, die inneren Kräfte nachzuweisen, die zu einer solchen Entfaltung
geführt haben. Was sich als Gesamtarbeit des Kongresses vor unseren
Augen vollziehen wird, ist zwar nicht die Begründung einer ganz neuen
Wissenschaft, wohl aber eine neue Vereinigung von Bestrebungen gleichen
Geistes. Und da das Werden einer Forschungsgemeinschaft von Selbst-
besinnung begleitet sein muß, um mit der so erzeugten Klarheit die Dauer-
haftigkeit zu erringen, so gebietet die Pflicht, die zugleich ein Vorrecht des
Philosophen ist, ins Bewußtsein zu heben, welche Gemeinschaft in viel-
fältigen und anscheinend verschieden gerichteten Arbeiten lebt. Es wird
sich überdies zeigen, daß aus dem Innersten aller Kunstwissenschaften
philosophische Fragen hervordrängen und daß viele der gegenwärtigen
Forscher sich einer Nötigung zum Philosophieren unterworfen finden.
Die Ästhetik selber ist in den Mutterarmen der Philosophie auf-
gewachsen. Aber auch jetzt noch hat Philosophie das Recht, sich nach der
Seite der Ästhetik zu betätigen, ohne deshalb von ihrem Wesen einzubüßen:
der überall nach Bedeutung und Begründung des Gegebenen ausblickende
Philosoph braucht von den ästhetischen Tatsachen das Auge nicht ab-
zuwenden. Will er streng begrifflich dasjenige Sein erfassen, das als schön,
häßlich, erhaben usw. auftritt, so muß er empirische Feststellungen
(z. B. die Wohlgefälligkeit gewisser Farbenpaare) auf einen allgemeineren
Begriff (etwa den der Harmonie) und diesen wieder auf ein umfassendes
geistiges Verhalten (sagen wir: das der willensfreien, reinen Betrachtung)
zurückführen. Durch diese allmähliche Reduktion auf allgemeinste Grund-
sätze kann der Zusammenhang der Einzelerkenntnisse hervortreten,
und es mag ihnen häufig ein neuer Sinn gegeben werden. Insbesondere
darf man hoffen, bei solchem Vorgehen die Verschiedenheit der großen
Kulturformen Religion, Wissenschaft und Kunst ihrem letzten Grunde nach
zu begreifen. Sind in jedem der drei Kreise besondere Kräfte am Werk,
bilden unterschiedene Geisteshaltungen die Voraussetzung jener Kultur-
formen, so ist es wohl auch möglich, die Vernunftfunktion anzugeben, durch
die der menschliche Geist das ästhetische Wertgebiet aufbaut. Gesetzt,
es werde beim künstlerischen Genießen und Schaffen das Gegebene von
 
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