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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung III
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Scholz, Wilhelm von: Das Schaffen des dramatischen Dichters
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0383

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von Scholz, Das Schaffen des dramatischen Dichters

377

Wilhelm von Scholz:
Das Schaffen des dramatischen Dichters
Die Leitung des Kongresses hat mir, der ich mich nur als Gast der
Wissenschaft betrachten darf, die Aufgabe meines Vortrages so vor-
geschlagen, daß ich Ihnen eine Darstellung des Wesentlichen geben möge,
was mir bei meinem eigenen dramatischen Schaffen auffällt. Ich werde
also einen psychologischen Bericht erstatten über die Folge derjenigen
Momente, aus denen die schließlich vollendete Arbeit hervorgeht, die ihr
Erlebtwordensein in das Werk hineinschreiben oder, wenn Sie wollen, seine
Entwicklungsstufen sind. Alle subjektiven und vergänglichen Begleit-
erscheinungen des Vorgangs, wechselnde Schaffensstimmungen und
-gefühle, Übersteigerungen des Ichgefühles und innere Zusammenbrüche,
liegen dabei natürlich ganz außer Betracht.
Zunächst, ehe von der Anregung zu einem einzelnen Werke zu sprechen
ist, scheint mir der psychische Gesamtzustand des Dramatikers — des
Mannes, der mit seinem Schaffen eins geworden ist, der sich bewußt erzogen
hat und unbewußt schon durch einige Werke und ihr Schicksal erzogen
worden ist — bemerkenswert. Er ist ein ständiges Spielen mit Gescheh-
nissen und Charakteren. Er ist heute ein Umdenken und Verbinden des
eigenen Erlebens mit anderer Vergangenheit, anderen Zusammenhängen,
anderen Fernen; morgen ein Umbilden von Personen, die uns begegnen,
zu starker Ausgeprägtheit, ein Vorstellen ihrer Möglichkeiten, wenn man
sie sich aus den Zwängen ihrer Konvention gelöst und durch andere Lebens-
lagen bedingt denkt. Er ist ein Spiel mit Gefühls-, Vorstellungs-, Willens-
antithesen, die bald dunkel, gefühlsmäßig, den Willen zerreißend als
Entschlußkonflikt, bald epigrammatisch-klar als unüberbrückbarer Gedanken-
gegensatz, bald unbegreiflich, mit seltsamer Mischung von Sinn und Zufall,
als Schicksal erscheinen. Dabei verwandeln sich die Gefühle des Drama-
tikers der Welt und dem Leben gegenüber — was er allerdings wohl mit
allen Künstlern teilt — von den naiven Gefühlen fort in der Richtung auf
die ästhetischen zu. Das Leben um ihn nimmt für den Dramatiker den
Charakter des Schauspiels an, des Schauspiels nur auf einer noch frühen
naturalistischen Schaffensstufe, des noch zu steigernden, der formenden
Hand noch knetbaren. Der Dramatiker sieht überall die nur selten durch-
geführten Ansätze und Versuche des Lebens zu starken Menschen, großen
Geschehnissen, zu unvermischten Entwicklungen, zu tragischen oder
komischen vielstufigen Skalen, an deren Gipfel erst die ganz vollen
tragischen und komischen Erregungen ausgelöst werden, deren unsere
 
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